Es ist eine häufig geäußerte Meinung: Erwachsene lernen schlechter und langsamer als Kinder und Jugendliche.
Als Kinder müssen wir innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele neue und anspruchsvolle Dinge lernen. Kinder können dabei scheinbar ohne Probleme mehrsprachig aufwachsen und dabei noch Lesen, Schreiben und Fahrradfahren erlernen.
Aber warum ist das überhaupt so?
Ein heranwachsender Mensch verändert sich neurologisch einfach noch wesentlich mehr als ein Erwachsener. Alleine die Pubertät krempelt unser Gehirn einmal komplett um. Nach Abschluss der Pubertät befinden wir uns in einem wesentlich stabileren Zustand – was auch bedeutet, dass uns Veränderungen schwerer fallen können.
Aber es liegt in der Natur des Menschen, sich neue Fähigkeiten anzueignen und sich immer wieder neuen Situationen anpassen zu können.
Das Gehirn bildet sich erst mit etwa 20 Jahren vollständig aus. Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass junge Menschen häufig unvorsichtig erscheinen und sich den Risiken und Gefahren weniger bewusst sind.
Wieso es einen evolutionären Vorteil bringen soll, dass sich wesentliche Teile des Gehirns erst so spät ausbilden, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Vermutlich wird in dieser Rechnung bereits der Mensch als soziales Geschöpf mit einbezogen. Unsere Eltern ersetzen gewissermaßen mit mehr oder weniger Erfolg den fehlenden Teil des Gehirns eines Heranwachsenden.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?
Ein Neugeborenes startet im Prinzip mit einer leeren Festplatte ins Leben. In den folgenden Jahren selektiert das junge Gehirn basierend auf den Erfahrungen und Eindrücken stark aus. Die Verbindungen werden entweder durch kontinuierliche Reize verstärkt oder durch fehlende Eindrücke abgebaut.
Diese Jahre sind für einen Menschen sehr prägend: es wurde nachgewiesen, dass das Gehirn eines Dreijährigen etwa doppelt so aktiv ist, wie das eines Erwachsenen.
Ab dem 6. Lebensjahr beginnt die intellektuelle Reifephase. Nun reift der Stirnlappen heran, der unter anderem für logisches Denken und Urteilsfähigkeit verantwortlich ist.
In den ersten 10 Jahren unseres Lebens lernen wir tatsächlich schneller. Das liegt unter anderem daran, dass das Lernen danach anstrengender wird. Im Kindheitsalter werden bereits viele grobe Verbindungen angelegt und vertieft. Nach dem 10. Lebensjahr legen wir insgesamt wesentlich seltener vollkommen neue Synapsenverbindungen an und das komplexe System unseres Gehirns wird so etwas weniger anpassungsfähig.
Aus diesem Grund ist es auch wichtig, Kinder an so viele Wissensbereiche wie möglich heranzuführen. Denn auf Verbindungen, die in unseren frühen Jahren angelegt wurden, lässt sich neues Wissen zu einem späteren Zeitpunkt besonders gut aufbauen.
Auch an das Lernen an sich sollten bereits Kleinkinder herangeführt werden. Dabei geht es vor allem um Selbstständigkeit im Lernprozess. Zu keinem Zeitpunkt ist es für einen Menschen wertvoll, Lernerfahrungen durch „Eintrichtern“ zu machen. Daher sollten auch Kinder insbesondere zum eigenständigen und handlungsorientierten Lernen ermutigt werden.
Denn im Erwachsenenalter funktioniert das Gehirn nach demselben Prinzip. Wir verstärken ständig unsere Verbindungen oder bauen ungenutzte ab. Nur legen wir eben weniger neue Synapsen an als zuvor.
Daher behalten wir neue Dinge durch Wiederholung besser und länger, da sich die entsprechenden Synapsen stärker ausbilden. Dinge, die wir nur einmal und dann nie wieder anwenden, kategorisiert das Gehirn einfach als „unwichtig“. Überflüssiges Wissen würde uns nur Speicherplatz auf der Festplatte blockieren.
Als Erwachsene lernen wir also insgesamt nicht unbedingt immer schlechter, aber durchaus etwas anders. Kinder lernen wesentlich beiläufiger und spielerischer. Wir wollen häufig auch den allgemeineren Sinnzusammenhang verstehen und lernen in größeren Schritten. Wir neigen beim Lernen vielleicht manchmal dazu, die Sache etwas zu verkopft anzugehen, anstatt einfach Dinge auszuprobieren.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es nie zu spät ist, neue Dinge zu lernen. Denn unser Gehirn ist bis zu unserem letzten Tag in der Lage neue Verbindungen anzulegen.
Somit sollte es uns nicht davon abhalten, sich in jedem Alter neue Fähigkeiten anzueignen. Denn im Prinzip passiert im Gehirn eines späten Anfängers genau dasselbe wie bei einem Frühstarter. Mit jeder Übungseinheit verknüpfen sich die jeweiligen Areale des Gehirns stärker.
Egal wann man also das Klavierspielen erlernen möchte, läuft der Lernprozess ähnlich ab. Bereits nach der ersten Einheit verändern sich die Aktivitätsmuster im Gehirn und die Vernetzungen zwischen Hand- und Hörregionen werden stärker. Wenn man weiter übt, so sind diese Verbindungen nach etwa drei bis fünf Wochen stabil und dauerhaft.
Die Eigenschaft unseres Gehirns, sich immer wieder neu zu verschalten und anzupassen, nennen Forscher Plastizität. Diese Eigenschaft bleibt uns ein Leben lang – auch wenn das Maß der Anpassungsfähigkeit mit dem Alter ein wenig nachlässt.
Das Lernen endet nicht mit der Schule
Wir müssen uns also von der Vorstellung verabschieden, dass das Lernen mit dem Schulabschluss beendet ist. Denn auch in der heutigen Arbeitswelt ist Stillstand keine Option. In beinahe allen Bereichen des Arbeitsmarktes muss man auch als Erwachsener stets zu einer Fort- oder Weiterbildung bereit sein, um mit den modernen Entwicklungen Schritt halten zu können.
Doch als Erwachsene scheuen sich viele Menschen vor einer Weiterbildung und der Erfahrung des institutionalisierten Lernens. In der Erwachsenenbildung stoßen wir daher auf ganz andere Lernwiderstände.
Erwachsene Menschen befinden sich in ganz anderen Lebensumständen als Kinder oder Jugendliche. In den meisten Fällen gehen diese ihrer Schulbildung praktisch hauptberuflich nach. In der Erwachsenenbildung hingegen treffen wir häufig Menschen an, die ihre Weiterbildung zusätzlich zu Beruf und Kindern meistern müssen.
Zudem befassen sich die Lerninhalte in der Erwachsenenbildung meist mit ganz anderen Themenbereichen. Diese kommen häufig aus wesentlich realeren Kontexten und betreffen uns viel direkter.
Der große Erfahrungsschatz eines Erwachsenen kann in einem Bildungskontext auch zu einem Hindernis werden. Da unsere Meinungen und Wissensbestände oft über viele Jahre gebildet wurden, sind wir manchmal etwas festgefahren.
Erwachsene lassen sich meist nicht gerne belehren. Daher liegt ein produktiver Ansatz für Lernumfelder in der Fort- und Weiterbildung auch eher im sozialen und kollaborativen Lernen. Wieso es für Dozenten wichtig ist, das Lernen handlungsorientiert zu gestalten kannst Du in diesem Artikel ausführlicher lesen:
Die wichtigsten Unterschiede – Wie Jugendliche und Erwachsene lernen
Andererseits hat die Erwachsenenbildung auch oft einen Vorteil: im Gegensatz zur Schulbildung entscheiden sich Erwachsene in vielen Fällen ganz bewusst und eigenständig zum Lernen. Diese intrinsische Motivation ist wesentlich wertvoller als die praktisch aufgezwungene Bildung im Rahmen der Schule.
Wieso lebenslanges Lernen so wichtig ist
Ein wesentlicher Grund, warum das Lernen uns als Erwachsenen manchmal schwerer fällt, ist unser großer Wissens- und Erfahrungsschatz. Kinder lernen so schnell, da ihre neurologische Leinwand einfach noch viel mehr weiße Flächen hat. Das Gehirn eines Erwachsenen ist so breit und tief vernetzt, dass eine Neuvernetzung mit mehr Anstrengung verbunden sein kann.
Auch wenn wir also als Erwachsene nicht mehr in der Geschwindigkeit eines Kindes lernen, so ist es wichtig, dass wir das Lernen nicht verlernen. Denn da das Gehirn tatsächlich wie ein Muskel ist, baut er ohne das entsprechende Training schnell ab.
Neurologische Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz werden in unserer Gesellschaft immer häufiger, da die Menschen im Durchschnitt immer älter werden. Daher stellen sich Wissenschaftler die Frage, ob sich degenerativen Erkrankungen im Alter vorbeugen lässt.
Nach neueren Erkenntnissen der Entwicklungsforschung geht man davon aus, dass sich beispielsweise das junge Erwachsenenalter etwa bis zum 45. Lebensjahr ausdehnt und das mittlere Alter bis 65. Erst danach könne man wirklich vom „Alter“ sprechen.
Die Hoffnung ist, dass wenn wir uns unser ganzes Leben lang im Gedächtnistraining üben, sich so der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter verlangsamen lässt. Studien haben bereits bewiesen, dass geistig aktive Menschen seltener an Demenz erkranken.
Die World Health Organisation (WHO) empfiehlt ganz konkret kognitives Training, dass neue Lerninhalte beinhalten und Routinen vermeiden soll. Klassische Zeitvertreibe wie Sudoku oder Kreuzworträtsel seien weniger effektiv, da so eher bereits vorhandene Wissensbestände abgefragt würden. Man solle hingegen kontinuierlich neue Fähigkeiten entwickeln oder etwa eine neue Fremdsprache erlernen.
Daher könnte lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen tatsächlich ein zentraler Faktor in unserer geistigen Altersvorsorge sein.
Liebe Andrea,
ich kann die Inhalte des Schreibens komplett nachvollziehen und unterstützen.
Lebenslanges Lernen ist extrem wichtig, um unsere SYNAPSEN stabil zu halten.
Wichtig ist, das das LERNEN SPASS macht und durch interessante Inhalte (egal welches Thema) ständig motiviert wird.
Kontinuität und Begeisterung ist förderlich für das LEBENSLANGE LERNEN.
Ich halte es für wichtig, das jeder LERNENDE in seinem EIGENEN RHYTHMUS lernen kann und darf.
Jeder in seinem Rhythmus und Lerntempo um Lernziele erfolgreich zu erreichen.
Alles Liebe und herzliche Grüße, Bettina
Liebe Bettina,
vielen Dank. Ich freue mich, dass Du mit mir übereinstimmst. Lernen kann Spaß machen ist ja der ausgewählte Leitsatz meiner Arbeit.
Alle Gute auch für Dich.
Hallo Andrea,
Danke für den schönen Blogpost! Lernen funktioniert – aber eben anders! Ergänzend dazu empfehle ich die Podcastfolge vom 6.10.20 von Dr. Volker Busch – als Neurowissenschaftler widmet er diese Folge der Bewegung und wie wir durch Bewegung auch unser Hirn aktivieren. Sehr spannend! Findet ihr u.a. auf spotify.
Was sind Herausforderungen fragtest du noch: Kurz gefasst: Der Druck, den sich Erwachsene in einer Weiterbildung (schlimmer als zu Schulzeiten?) selbst machen, sehe ich als große Herausforderung in jedem Kurs. Auffangen mit Empathie und Freude am Lernen einerseits, aber auch einer zu öffnenden Tür Richtung Selbstempathie, Selbstwirksamkeit und Geduld andererseits. Prüfungsängste sind oft groß, dh. die Angst vor Bewertung.
Ich freue mich über Tipps, wie ihr dem Thema in Seminaren begegnet!
Liebe Grüße,
Wibke
Liebe Wibke,
Danke für Deine wertschätzende Rückmeldung und auch dem Tipp mit dem Podcast. Ich stelle gerade selbst fest, dass das Thema Fehlerkultur in der Bildungslandschaft immer noch nicht angekommen ist.
Wenn wir es Lernenden nicht gestatten Fehler zu machen, dann kann kein Selbstwert entstehen, dann kann ich mich nicht selbst korrigieren. Ich kann aber auch meinen Lernfortschritt gar nicht sehen.
Dann bin ich nur im Vergleich mit anderen und der Bewertung. Damit steigt eben der Lerndruck. Und wenn ich nicht einschätzen kann, was ich gelernt habe, steigt auch der Prüfungsdruck. Für mich liegt hier einer der Schlüssel für Lernerfolg.
Liebe Grüße
Andrea
Absolut, da bin ich ganz bei dir! Da sind wir als Trainer gefragt: Es reicht nicht, einen sicheren Übungsraum am Anfang anzukündigen oder etwas als Erfahrung (statt Fehler) zu betiteln, sondern das wertvolle besteht darin, einen offenen Übungsraum mit neuen Lernfeldern zu leben. Dh. auch für mich, das eigenen wording zu hinterfragen, denn die Formilierung, wie wir auf Teilnehmer Aussagen reagieren, spielt hier sicher eine Rolle. Dh. wie reagiere ich als Trainer auf Fehler – verbal, nonverbarl? Wie andere Teilnehmer und wie moderiere ich das? Den Fokus gilt es auf das Geschenk der Vielseitigkeit zu legen und dies auch zu verbalisieren. Da sind wir wahrscheinlich bei einem sehr achtsamen Miteinander, welches trotzdem nicht wischiwaschi wird. Eine spannende und wichtige Aufgabe.