Jede vierte Lehrkraft würde den Beruf wechseln, wenn sie könnte.
Das hat dieses Jahr eine repräsentative Umfrage der Robert Bosch Stiftung unter Lehrenden an allgemein- und berufsbildenden Schulen ergeben.
Ein ganz schöner Hammer – und die Zahlen werden vermutlich so schnell nicht kleiner.
Auch wenn wir hier typischerweise nicht über den klassischen Schulbetrieb sprechen, werfen Ergebnisse wie diese einen Scheinwerfer auf das gesamte Bildungssystem.
Denn ein Berufswechsel ist schließlich keine Entscheidung, die Menschen generell aus einer Laune heraus treffen, da dies ihr ganzes Leben beeinflussen kann.
Was treibt also aktuell so viele Lehrende aus dem Beruf heraus?
Der Klassiker
Das Offensichtliche zuerst:
Es herrscht seit einiger Zeit an vielen Stellen ein extremer Mangel an Lehrkräften. Das natürliche Resultat ist Überarbeitung und eine mangelnde Qualität der Lernbegleitung.
Der Lehrermangel bedeutet für alle existierenden Kräfte, dass sie kontinuierlich die Last mehrerer tragen müssen.
Wir haben beispielsweise bereits >>hier vor Kurzem erst darüber gesprochen, dass gerade auch Lehrende ohnehin gefährdet sind, wenn es um psychische Erkrankungen wie Burnout geht.
Denn Lehren ist schließlich ein Kontaktberuf, der eine hohe psychosoziale und emotionale Belastung mit sich bringen kann. Dieser Umstand wird natürlich durch den Mangel an Lehrkräften nur noch verstärkt.
Kurzum: Viele Lehrende haben einfach nicht mehr das Gefühl, dass sich ihr Beruf auszahlt – denn die psychischen Kosten werden immer höher und die berufliche Erfüllung bleibt auf der Strecke.
Wir können ein Gefühl der Resignation eine Weile aushalten oder versuchen, etwas zu verändern. Aber früher oder später kommt der Punkt, an dem die Zustände nicht mehr tragbar werden.
Denn eine berufliche Überlastung wirkt sich schließlich im nächsten Schritt auf weit mehr als nur den Beruf aus!
Eine große Wertekrise
Natürlich sind also viele Lehrende sehr überanstrengt.
Doch es gibt in der Konsequenz einige innere Konflikte, die bei vielen noch stärker wiegen. Denn schließlich ergreifen die meisten Lehrenden ihren Beruf aus einer Leidenschaft für das Lernen und Lehren heraus.
Doch wenn es ständig an allen Stellen brennt, kann man den eigenen Ansprüchen an Lernprozesse nicht mehr genügen.
Überlastete Menschen können nur noch schwierig bis gar nicht effizient planen, kreativ denken oder teilnehmerorientiertes Lernen anbieten. Es fehlt in vielen Fällen auch einfach die Zeit dazu – und so muss oftmals auf “Bewährtes” zurückgegriffen werden.
Dieses Dilemma belastet eine Menge Lehrkräfte und führt zu immer mehr psychischer Belastung. In der Folge steigen immer mehr ganz aus dem Beruf aus.
Dieser Fakt macht das System insgesamt natürlich nur immer schwächer und viele weitere Lehrende erreichen ihre persönlichen Grenzen.
Denn die meisten Lernbegleiter:innen sind wohl von Natur aus kreative, motivierte Menschen. Sie gehen darin auf, Methoden und Inhalte zu entwerfen. Wenn all das immer mehr austrocknet, steigt die Unzufriedenheit exponentiell.
Überforderung mit den Bedingungen
In der modernen Bildungslandschaft gibt es eine Menge Faktoren, die Lehrende fordern.
Für viele werden diese Anforderungen teilweise einfach zu groß. Die klassische Lehrerausbildung bereitet beispielsweise oftmals überhaupt nicht auf die realen Bedingungen vor.
Da ist einerseits die Digitalisierung. Einige Lehrkräfte haben das Gefühl, dass sie mit den Neuerungen und den erforderlichen Kompetenzen nicht mehr Schritt halten können – oder möchten.
Andererseits werden viele Lerngruppen immer heterogener. Die Voraussetzungen sind manchmal so unterschiedlich, dass Lernbegleiter:innen keine gemeinsamen Nenner finden können.
Wir identifizieren auch immer mehr Förder- und Inklusionsbedarfe, die in vielen Fällen nicht ausreichend bedient werden können.
Auch das scheitert nicht am guten Willen oder der Bereitschaft, mit diesen zu arbeiten. Es fehlt Lehrenden einfach an verschiedenen Ressourcen, um wirklich individuell auf Lernbedarfe einzugehen und die Gruppe in gleichem Maße zu stärken.
Negative Erfahrungen mit Führungsetage
Ein weiterer Grund, der bei einem Berufsausstieg häufig angeführt wird, sind schlechte Erfahrungen mit dem System an sich.
Viele Lehrende fühlen sich von ihren Schulen, Bildungsträgern etc. einfach mit der belastenden Situation alleine gelassen. Es gibt zu wenig greifbare Ansprechpartner:innen, die wirklich helfen können.
Lehrkräfte bekommen daher wenig Unterstützung oder können ihre Vorschläge nicht produktiv einbringen. Auf Dauer führt das zu großer Unzufriedenheit.
Es gibt sicher daher auch Einige, die vor einem kompletten Ausstieg erst einmal den Schritt in eine Selbstständigkeit wagen. Denn so erhoffen sie sich mehr Unabhängigkeit und den Gestaltungsfreiraum, den sie so sehr vermissen.
Natürlich kommt ein solcher Schritt mit neuen Herausforderungen, aber es kann eine Zwischenlösung sein, um zumindest vorerst aus dem Hamsterrad auszusteigen.
Eine ehrliche Unterhaltung
Die Chance ist hoch, dass Du Dich selbst als grundsätzlich zufriedene Lehrkraft mit einem dieser Punkte identifizieren kannst.
Oder vielleicht kennst Du diese Dinge aus der Vergangenheit, da sie Dich selbst zu einer Veränderung bewegt haben.
Daher fragen wir an dieser Stelle ganz offen:
- Wo siehst Du aktuell die größten Belastungen in der Lehre?
- Welchen Grund hältst Du für ausschlaggebend, dass so viele Lehrkräfte den Beruf wechseln würden?
- Welche dieser Gefühle kennst Du aus eigener Erfahrung oder hast Du beobachtet?
- Hast Du in der Vergangenheit mit dem Gedanken eines Berufswechsels gespielt oder tust das vielleicht sogar aktuell?
Wir freuen uns, wenn Du ein paar persönliche Erfahrungen teilen möchtest!