Es erscheint mittlerweile beinahe wie eine halbe Ewigkeit her, als Lehrende zum ersten Mal in der Breite zur Umstellung auf digitales Lernen gebracht wurden.
Heute bewegen sich selbst Lernbegleiter:innen auf Online Pfaden, die das vermutlich noch vor wenigen Jahren nicht von sich gedacht hätten.
Mit den umfassenden Entwicklungen von 2020 kamen auch einige neue Phänomene, wie unter anderem die digitale Ermüdung, oder auch „Zoom Fatigue“ getauft.
Denn Lehrende und Lernende merkten gleichermaßen, dass das rein digitale Lernen nicht ganz ohne Nebenwirkungen kam.
Schmerzende Augen, Kopfschmerzen, mangelnde Konzentration, und als Resultat: Fehlender Lernerfolg.
Und schon bald schien digitale Ermüdung wie das neue Volksleiden. Denn schließlich verlagerten sich beinahe alle Gesellschaftsbereiche auf digitale Lösungen.
Wie ist der Stand der Dinge also im Jahr 2024?
Wie sieht’s heute aus?
Nachdem nun einige Jahre vergangen sind, ist der Umgang mit Zoom und verschiedenen Online Tools für viele zur zweiten Natur geworden.
Der kompetentere Umgang und das allgemein höhere Wissen um digitales Lernen haben uns in vielen Bereichen geholfen.
In der ersten Phase hat die Nebenerscheinung der digitalen Ermüdung viele kalt erwischt. Wir wussten zunächst gar nicht, wie gutes Online Lernen überhaupt aussehen kann und die Gestaltung war sicherlich nicht immer ideal.
Mittlerweile kennen Lehrende einige Tricks, um der Müdigkeit und Konzentrationsschwäche vorzubeugen. Auch unsere digitalen Methodenkoffer sind wesentlich besser auf die Anforderungen des Online Lernens zugeschnitten.
Denn der mitunter größte Stolperstein war zu Beginn der Versuch, ein Präsenz Konzept beinahe 1:1 zu übertragen.
Da nun auch viele andere Dinge im Leben wieder in der Präsenz stattfinden, stellt sich die digitale Ermüdung wahrscheinlich nicht mehr so schnell ein, wie etwa zur Hochzeit in 2020.
Trotzdem haben eben so viele Lehrende und Lernende während dieser Zeit auch die digitalen Vorzüge schätzen gelernt und entscheiden sich heute bewusst für Online Formate.
Wenn diese Veranstaltungen etwa ganze Weiterbildungen sind oder selbst längere Sessions vorsehen, ist die digitale Ermüdung nach wie vor ein Faktor.
Wie kommt es dazu?
Wir alle sind es heutzutage gewohnt, tagtäglich von digitalen Geräten umgeben zu sein – sowohl privat als auch oft beruflich.
Trotz dieser Gewöhnung kommt es immer noch dazu, dass wir digital ermüdet werden. Gerade und vor allem, weil sich diese beiden Bereiche immer mehr überschneiden.
Die ständige Erreichbarkeit, die für viele fehlende Work-Life-Balance und der mangelnde Ausgleich zur Digitalität haben Auswirkungen auf Körper und Psyche.
Auch hier können wir zum Glück im Jahr 2024 andere Maßnahmen ergreifen als noch zuvor und viele von uns sind heute wesentlich besser im Gleichgewicht, da es wieder mehr Möglichkeiten zum Ausgleich gibt.
Vielleicht haben wir allerdings auch deshalb ein wenig aufgehört, die Nebenwirkungen des digitalen Lernens so aktiv in den Fokus zu stellen. Dabei wirken die potenziell lernhemmenden Effekte nach wie vor.
Wenn Deine Veranstaltungen primär live, etwa über längere Zoom Sitzungen, stattfinden, wirken auch heute unter anderem diese Faktoren auf uns ein:
- Wir sehen uns und andere Menschen anders
Das klingt nicht dramatisch, lenkt uns aber tatsächlich häufig ab und lenkt den Fokus weg von unserer Umwelt, also den anderen Teilnehmer:innen, der Lehrperson und den Inhalten.
Hoffentlich kennen heute viele Lehrende und Lernende die Funktion, die Selbstansicht auszuschalten. Dieser kleine Hack kann beispielsweise dabei helfen, dass wir zumindest nicht von uns selbst abgelenkt werden.
Trotzdem sehen wir je nach Ansicht andere Menschen viel aktiver als wir es sonst vielleicht würden. Wir schauen auch auf einen Bildschirm anders, als wir uns in einem Raum umsehen. Dadurch bekommen Augen und Gehirn weniger Pausen, was uns schneller kognitiv ermüdet.
- Nonverbale Kommunikation ist stark eingeschränkt
Wir strengen uns zwar sehr an den fehlenden Blickkontakt virtuell zu simulieren, doch es hat zugegeben nicht ganz denselben Effekt. Der Mangel an natürlichen nonverbalen Signalen macht unsere Kommunikation auf Dauer anstrengend und auch manchmal ungenau.
- Die Diskrepanz zwischen der realen und virtuellen Situation
Auch diese Beobachtung mag sehr banal klingen, aber wenn man Experten wie dem Psychologen Prof. Dr. Johannes Moskaliuk Glauben schenkt, beeinflusst es uns mehr, als wir denken.
Insbesondere dieser Aspekt scheint sich auf Dauer negativ auf unsere mentale Verfassung auszuwirken. Da wir uns physisch in einem Raum befinden und geistig ständig in einer virtuellen Sphäre agieren, ermüden wir schneller. Und Ermüdung führt in einem Lernkontext früher oder später zu Demotivation.
Was können wir tun?
Der beste Weg ist, als Lernbegleiter:in der digitalen Ermüdung von Beginn an bewusst vorzubeugen. So entsteht im Idealfall erst gar nicht das Problem der Konzentrationsschwäche. Hier sind einige Tipps, wie Du Deine Teilnehmenden auch Online mental bei der Stange hältst:
1. Vielfalt bei Methoden und Medien
Der wichtigste Leitsatz ist wohl, dass wir Online noch mehr Variation brauchen als in Präsenz. Je mehr Abwechslung man den Lernenden bieten kann, desto weniger bemerken sie die Grenzen des Online-Modus.
Am effektivsten hält man die Konzentration der Teilnehmer:innen hoch, indem man ihnen eine breite Vielfalt an Medien und Formaten bietet. Eine bunte Mischung aus Videos, Texten, Bildern und verschiedenen Arbeitsphasen garantiert, dass die Lernenden Dir nicht wegschlafen.
Zudem kannst Du immer von den eingebauten Tools der jeweiligen Plattform Gebrauch machen – streue zwischendurch immer mal wieder Arbeitsaufträge ein, die Deine Teilnehmer:innen aktivieren, wie etwa eine kurze Umfrage.
Wenn Du gleichzeitig noch Wege findest, wie Du haptische oder andere sinnliche Reize abseits des Bildschirms – etwa Stift und Papier – einbinden kannst, gibst Du den Lernenden eine zusätzliche Pause von der Digitalität.
Also insgesamt immer weniger Webinar, mehr Online-Seminar.
2. Microlearning
Das Prinzip des >>Microlearnings lässt sich so zusammenfassen: Halte die einzelnen Lerneinheiten so kurz wie möglich.
Es ist bekannt, dass ausgedehnter und komplizierter Input die Teilnehmer:innen nicht lange fesselt – im Online-Seminar ist die Aufmerksamkeitsspanne sogar noch wesentlich kürzer. Wenn Du also insbesondere komplexe Themengebiete in inhaltlich sinnvolle Teileinheiten aufbrichst, kannst Du die Motivation länger hoch halten.
Zusätzlich lassen sich kleine Häppchen leichter verdauen, wodurch auch eine langfristige Transfersicherung des neuen Wissens erleichtert wird.
Was ist der Präsenz vielleicht ein Tagesseminar ist, sollte in einer digitalen Lösung minimal auf zwei Tage aufgeteilt werden.
3. Gamification
Das Gamification-Prinzip zielt immer auf den natürlichen Spieltrieb des Menschen ab – und diesen haben auch Erwachsene!
Wann immer Du die Möglichkeit hast, einen Inhalt auf eine praktische und spielerische Art zu vermitteln, solltest Du diese ergreifen. Denn ein Spiel zeichnet sich durch Unterhaltsamkeit aus und wenn wir ein Lernerlebnis mit diesem positiven Gefühl verknüpfen können, bleibt das Gelernte besser haften.
Gamification eignet sich daher auch sehr gut für die Transfersicherung. So kannst Du die jeweiligen Inhalte beispielsweise mit Hilfe eines Quiz abfragen und eventuell mit einem kleinen Belohnungssystem einen zusätzlichen Anreiz schaffen.
Trotz der besten Planung kann es aber natürlich passieren, dass Du bemerkst wie die Konzentrationsfähigkeit Deiner Teilnehmenden schwindet. Mit Hilfe des letzten Tipps kannst Du in einer solchen Situation gegensteuern:
4. Flexibel bleiben
Grundsätzlich gilt beim Online-Seminar: Flexibilität zahlt sich aus!
Wenn die Motivation der Lernenden spürbar abflaut, ist es Zeit für einen Richtungswechsel. Auch die Taktung der Pausen kannst Du flexibel an die aktuelle Konzentrationskurve anpassen und auf diese Weise auf die Stimmung der Lerngruppe reagieren.
Es bietet sich auch immer an, bei längeren Seminaren regelmäßig Energizer einzustreuen – insbesondere solche, die mit etwas körperlicher Bewegung zu tun haben. So können alle für kurze Zeit die Augen vom Bildschirm nehmen und der mentalen Verfassung einen Frischekick geben.
Die Aufgaben von Online-Lehrenden liegen auch durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion: Erinnere Deine Teilnehmer:innen ruhig regelmäßig durch gutes Beispiel daran, dass sie Zuhause etwas frische Luft reinlassen, sich strecken oder ein Glas Wasser trinken.
Spannende Beobachtungen, danke für den Artikel. Ich habe bislang keine komplette digitale Ermüdung feststellen können, sondern eher eine grundsätzliche Ermüdung in der Gesellschaft. Dennoch möchte man “weiterkommen”, aktiv sein, etwas lernen.
Und weil es sooo viel bequemer ist, nur den Computer einzuschalten, anstatt in eine Sprachschule in der Nachbarstadt zu fahren, wird unser Onlineunterricht so dankend angenomnen. Der Online-Komfort kommt den ermüdeten Menschen eher entgegen nach meiner Erfahrung. In den meisten unserer Kurse ist außerdem die Länge einer Unterrichtseinheit bewusst kürzer als im Offlineunterricht, was die Konzentration erleichtert.
Ich möchte das Phänomen unbedingt beobachten, danke für die Anregung und viele liebe Grüße!