Von Lerntypen und anderen Schubladen

Eins lässt sich über Menschen zweifelsfrei sagen:

Wir stecken Dinge gerne in Schubladen.

Wir typisieren, kategorisieren und fassen zusammen. Aus diesem offenbar natürlichen Bedürfnis entstehen dann unter anderem solche Geschichten wie der bekannte pädagogische „Mythos“ der 4 Lerntypen.

Aber es gibt noch Tausende anderer Beispiele und nicht immer sind sie schlecht. Manchmal brauchen wir Modelle und Kategorien, um die Welt verständlich zu machen.

Die Frage ist also eher: Wieso machen wir das eigentlich so gerne?

Wie nützt es uns als Menschen und welche Gefahren birgt es gleichzeitig? Diese spannende Frage schauen wir uns heute einmal an:

Woher kommt das eigentlich?

Aus welchem Grund stecken wir Dinge so gerne in Schubladen?

Die ganz einfache Antwort ist: Notwendigkeit.

Und die tendenzielle Faulheit unseres Gehirns. Denn die Welt, die uns tagtäglich umgibt, ist schließlich so unglaublich vielfältig und bunt.

Klingt erst einmal wie ein Gegensatz, oder? Ist es nämlich auch.

Alles um uns herum ist so divers und individuell, dass wir es überhaupt gar nicht ständig in seiner Vielfalt erfassen könnten. Aus diesem Fakt ergibt sich dann für uns das Bedürfnis der Kategorisierung.

Es hat auch ganz tief verwurzelte evolutionäre Hintergründe:

Wir lernen schnell, potenzielle Gefahrenquellen zu erkennen und diesen aus dem Weg zu gehen. Wenn wir beispielsweise wissen, dass ein Löwe gefährlich ist, würden wir wohl auch um einen Tiger einen Bogen machen – selbst, wenn wir noch niemals einen gesehen hätten. Kategorisierung funktioniert also auch als Schutzmechanismus.

Und auch als soziale und kulturelle Geschöpfe war es für uns schon in frühester Zeit notwendig, andere Menschen einzusortieren. Wir ordnen uns sogar selbst gerne ein, denn das erzeugt ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Die Konsequenzen?

Doch in der modernen Welt stellen uns diese ur-menschlichen Instinkte oftmals auch vor Hindernisse.

Wenn wir beispielsweise persönlich eine schlechte Erfahrung mit einem Menschen gemacht haben, auf den bestimmte Charakteristika zutreffen.

Es spielt keine Rolle, was diese im Detail sind. Aber trotzdem neigt unser Gehirn dazu, diese zu extrapolieren und zu übertragen. Und natürlich sind nicht alle anderen Menschen, auf die diese ebenfalls zutreffen, eine „Gefahr“.

Trotzdem kämpfen wir oft mit diesem Schubladen-Denken, das uns so eigen ist.

Auch im Umgang mit unseren Lernenden begegnen uns hier Problemstellungen. Denn auch das haben unsere Schubladen so an sich: Wenn wir Menschen einmal eingeordnet haben, tun wir uns schwer mit einer Umsortierung.

Ganz egal, wie vorschnell die ursprüngliche Kategorisierung war – unser Gehirn hält gerne an ersten Eindrücken fest. Du hast sicherlich auch schon einmal beim ersten Kontakt eine vielleicht ungünstige Interaktion mit einzelnen Lernenden gehabt und diese nie wirklich „verziehen“.

Denn wir müssen ehrlich mit uns sein: Wir bewerten und analysieren kontinuierlich andere Menschen. Denn das ist eben so tief in uns verwurzelt, dass wir gar nicht anders könnten.

Solange wir uns diese Eigenheit bewusst machen, können wir uns auch mit unseren Schubladen auseinandersetzen und uns kritisch hinterfragen.

Was hat das mit Lerntypen zu tun?

Nach diesem kleinen Exkurs kehren wir nun zurück zum Thema der Lerntypen. Und vor allem auch dem Grund, wieso solche Ansichten mittlerweile ein wenig überholt sind.

Denn auch Lerntypen sind eine Form der Kategorisierung, die sich sehr hartnäckig hält. So sehr, dass die Mehrheit der Menschen vermutlich davon gehört hat, wenn sie auch aktiv gar nichts mit Pädagogik zu tun haben.

Denn viele Teilnehmende wurden früher oder später einmal zu einem Test oder einer Einschätzung zu ihrem eigenen Lerntyp aufgefordert.

Visuell, auditiv, haptisch, kommunikativ – welcher Typ bin ich nun?

Die Frage ist aber wohl eher: Können wir das wirklich so genau festlegen? Es gibt ganz sicher persönliche Präferenzen, aber sind diese so stark, dass wir ausschließlich über einen bestimmten Kanal lernen wollen oder überhaupt sollten?

Das ist wie die Frage nach dem Lieblingsessen. Ja, ich esse am liebsten Schokolade, aber sollte ich deswegen ausschließlich Schokolade essen? Vermutlich nicht 😉

Denn was wir gerne mögen, ist in der Folge schließlich gar nicht immer in unserem besten Interesse. Auch Lernprozesse kommen nicht immer ohne Widerstände und ein gesundes Maß an Forderung aus.

Typisierung eliminiert Vielfalt

Wenn wir eine solche Kategorisierung ernst nehmen, berauben wir uns von Beginn an der Vielfalt. Wir haben nun im Kopf, dass wir ein visueller Lerntyp sind und stecken auch uns selbst in eine Schublade.

Dabei ist die Wahrheit vermutlich viel eher, dass die meisten Menschen Mischtypen mit verschiedenen Gewichtungen sind. Es kann also stimmen, dass ein Mensch von Natur aus besonders stark auf kommunikatives und soziales Lernen anspricht – das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass sie von anderen Impulsen weniger profitieren.

Oder dass anderen Lerntypen zugeordnete Lernende nicht ebenfalls besonders positiv auf kommunikative Methoden reagieren würden.

Vielleicht gibt es Lernende, die in verstärktem Maße mit visuellen Hilfen lernen wollen. Doch gibt es überhaupt viele Lernende, die nicht tatsächlich von mehr Anschaulichkeit profitieren würden? Ein hohes Maß an Visualität erfreut sicherlich die Mehrheit der Teilnehmenden und erhöht das Verständnis.

Auch für Pädagog:innen können Lerntypen daher eine kleine Falle sein. Wir können glauben, wir bieten den Lernenden Impulse an, die besonders gut auf ihren angeblichen jeweiligen Lerntyp zugeschnitten sind.

Dabei stecken wir sie im Prinzip immer weiter in eine Schublade und legen ihnen Scheuklappen für die Vielfalt an Lernmöglichkeiten an.

Was kann die Lösung sein?

Die offene Frage am Ende ist also nun:

Kann es überhaupt eine Balance geben zwischen unserem natürlichen Bedürfnis nach System und der bunten Vielfalt unserer Umgebung?

Und wenn wir keine Lerntypen voraussetzen, woran orientieren wir uns dann?

Um ehrlich zu sein, wir wollen hier gar keine definitive Lösung anbieten. Vielleicht ist es eher eine offene Diskussion und ein Vorschlag.

Eventuell liegt eine mögliche Lösung einfach in der Tatsache, wie die Welt und die Menschen darin allgemein sind – vielfältig.

Im Sinne von: Eine natürliche Vielfalt anbieten und die Lernenden viele verschiedene Impulse erleben lassen. Denn Variation hält das Gehirn auch fit.

Denn wenn alles berechenbar in bekannte Kategorien passt, nehmen wir irgendwann auch immer weniger auf. Wenn wir uns kontinuierlich mit einer gesunden Vielfalt an Methoden und Impulsen auseinandersetzen müssen, lernen wir tatsächlich viel mehr.

Ja, wahrscheinlich gefällt einem Lernenden eine Methode besser als der anderen Lernenden. Präferenzen werden immer existieren, aber wir sollten uns davon nicht kontinuierlich einschränken lassen.

Denn die angebliche Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lerntyp hält Teilnehmende eventuell nur davon ab, sogar noch besser passende Lernwege zu entdecken.

Also: Weg vom Lerntypen-Tunnelblick und methodisch alle Schotten öffnen!

Die verschiedenen Lernstile – Kann man sie auch im Online-Seminar fördern?

Wir fragen uns oft, wie wir den Lernerfolg unserer Teilnehmer*innen befördern können.

Sicherlich hat auch jeder von uns einmal gemerkt, dass er mit verschiedenen Sinneskanälen auf unterschiedlich effektive Weise Informationen verarbeitet und speichert.

Allgemein spricht man hier oft von Lerntypen, auch wenn eine solche Klassifizierung nicht unbedingt wissenschaftlich unterstützt wird. Eventuell wäre es hier passender von Lernstilen zu sprechen, denn einen persönlichen Lernstil kann man durch Reflexion des Lernprozesses durchaus identifizieren.

Ich war schon zu meiner Schulzeit jemand, der sich die Dinge am besten merken konnte, wenn ich sie einmal selbst zu Papier gebracht hatte. Die Anfertigung des berühmten Spickzettels (von denen ich zugegeben einige angefertigt habe) übernimmt damit bereits die eigentliche Funktion des Memorierens.

Natürlich möchten wir in der Erwachsenenbildung aber normalerweise kein Auswendig-Lernen erzeugen, sondern Handlungswissen vermitteln. In Online-Seminaren müssen wir unsere Methoden noch einmal neu betrachten und überlegen, wie wir die Lernziele effektiv umsetzen können.

Ist es überhaupt möglich, die verschiedenen Sinne über einen Bildschirm auf dieselbe Weise anzusprechen wie in Präsenz?

Den eigenen Lernstil zu kennen ist besonders für das Selbstlernen wichtig. Denn wenn ich meine bevorzugten Wahrnehmungskanäle kenne, kann ich meinen Lernprozess daran anpassen und den langfristigen Lernerfolg erhöhen.

Daher fassen wir die vier grundsätzlichen Lernstile und wie Du sie fördern kannst hier noch einmal zusammen:

1. Visuell

Der visuelle Lernstil zeichnet sich dadurch aus, dass man besonders viel Informationen aus verschriftlichten und bildlichen Quellen ziehen kann. Lernmaterialien sind für diese Lernenden also von großer Wichtigkeit.

Grundsätzlich gilt aber wohl für die meisten Menschen: Veranschaulichung hilft enorm beim Abspeichern von Zusammenhängen. Daher ist es immer empfehlenswert, Präsentationen visuell anzureichern und nicht nur reinen Text anzubieten.

Indem man Bilder und auch Videos einbindet, lassen sich auch komplexere Sachverhalte darstellen und veranschaulichen. Das gilt sowohl für die eigentliche Präsentation als auch die bereitgestellten Lernmaterialien. Es gibt eine unendliche Menge an Videos, etwa auf YouTube, auf die Du verweisen kannst – oder Du erstellst selber Erklärvideos. Durch einen solchen Anstoß können die Lernenden dann selbst entscheiden, ob sie dieses weiterführende visuelle Angebot brauchen oder nicht.

Wenn Du selbst den visuellen Lernstil bevorzugst, kann es Dir helfen, wenn Du beim Lernen unterschiedliche Quellen einbeziehst, um die Informationen zusammenzutragen. In reinen Vorlesungen oder Webinaren kann es hilfreich sein, Dir eigene Notizen zu machen und das Gehörte für Dich beispielsweise als Mindmap zu visualisieren. Dabei muss man nur aufpassen, dass man nicht ganz den Anschluss an die Live Veranstaltung verliert.

Der visuelle Lernstil ist im Online-Seminar also unter Beachtung dieser grundsätzlichen Regeln relativ einfach zu unterstützen. Wenn man darauf achtet, die eigenen Materialien visuell ansprechend zu gestalten, tut man sicherlich auch allen anderen Teilnehmer*innen einen Gefallen.

2. Auditiv

Lernende, die besonders von einer auditiven Lernerfahrung profitieren, können am meisten Wissen aus einem reinen Input wie einem Webinar gewinnen.

Diese Lernenden fühlen sich allerdings durch Störquellen wie Musik oder Nebengeräusche sehr schnell abgelenkt. Da in einem Online-Seminar an jeder Ecke solche Audio-Störquellen lauern, ist eine gute Klangqualität für diesen Lerntyp entscheidend.

Für Online-Trainer*innen ist ein qualitativ hochwertiges Mikrofon ohnehin unerlässlich. Auf diese Weise wird Deine Stimme klar und deutlich übertragen. Eine gute Tonqualität ist insgesamt immer wichtiger als die Bildqualität!

Wenn Du Dich selbst dem auditiven Lernstil zuordnest, sind für Dich Podcasts, Vorlesungen und aufgezeichnete Gespräche empfehlenswert. Du kannst Dir auch antrainieren, durch lautes Vorlesen auf Deine eigene Stimme zu hören. Indem Du dabei wichtige Dinge besonders betonst, kannst Du sie effektiver abspeichern.

3. Kommunikativ

Der kommunikative Lerntyp leidet am stärksten unter dem klassischen Frontalunterricht. Da unerfahrene Online-Trainer*innen ein Online-Seminar oft zu einem Webinar werden lassen, wird dieser Lernstil in einem solchen Format kaum unterstützt.

Diese Lernenden brauchen unbedingt den Austausch mit anderen und sind daher häufig die Initiatoren einer privaten Lerngruppe. Wenn Du den kommunikativen Lernstil bevorzugst, lernst Du am besten durch Argumente und Diskussionen in Gruppen.

Daher blüht ein kommunikativer Lerntyp in Gruppenarbeitsphasen besonders auf. Da Gruppenarbeiten in Online-Seminaren aber immer noch als schwierig umzusetzen gelten, fallen diese Phasen häufig weg. Das nimmt dem kommunikativen Lernstil gänzlich die Grundlage.

Dabei kannst und solltest Du auch online Gruppenarbeiten abbilden. Das kooperative Lernen lässt sich in der Verbindung aus Breakout-Rooms und kollaborativen Online-Tools sehr gut umsetzen.

Wenn Dir persönlich die Möglichkeit fehlt, in einer Gruppe zu lernen, dann kannst Du über Kanäle wie Facebook, YouTube und Foren neue Lerngruppen finden. Es kann für Dich sehr hilfreich sein, einer entsprechenden Facebook-Gruppe beizutreten und Dich an den Diskussionen zum jeweiligen Thema zu beteiligen.

4. Haptisch

Der haptisch veranlagte Lernstil ist dem Menschen zuzuordnen, der die Phrase „Learning by doing“ erfunden hat. Die konkrete Anwendung des Gelernten macht das Wissen für diese Menschen erst (be)greifbar. Der haptische Lernstil basiert weniger auf Einzelteilen, sondern eher auf einem größeren Zusammenhang oder Prozess.

Bewegung und Körperlichkeit unterstützen diesen Lernstil besonders effektiv. Damit steht der haptische Lernstil also scheinbar in großem Konflikt zur Natur des Online-Seminars. Und ehrlicherweise muss man sagen: Haptische Aspekte sind in einem Online-Kontext nicht unbedingt vorgesehen und erfordern daher unter Umständen etwas mehr Planung.

Da haptisch veranlagte Lernende so aktiv wie möglich in den Lernprozess eingebunden werden wollen, ist hier auch Gamification ein guter Ansatz. Lernspiele und Wissensabfragen in spielerischer Form fühlen sich aktiver an und halten die Aufmerksamkeit höher.

Falls Du die Möglichkeit hast es thematisch einzubinden, können Augmented Reality oder Simulationen ein interessanter Ansatz sein. Du kannst auch zu Deinem jeweiligen Thema 360°-Videos heraussuchen und gemeinsam mit Deinen Teilnehmer*innen erkunden – diese Videos vermitteln einen wesentlich interaktiveres Gefühl als durch die reine Rezeption erzeugt wird.

Je nach Themenbereich kann die Einsatzmöglichkeit dieser Elemente selbstverständlich variieren, aber Du kannst Dich auf jeden Fall auf die Suche nach kreativen digitalen Lösungen begeben. Natürlich wäre Virtual Reality die nächstbeste Option zum realen Erlebnis, das ist allerdings mit dem aktuellen Stand der Technik wohl kaum im Rahmen eines Online-Seminars umzusetzen.

Wenn Du das praktische Erleben und Anfassen nicht nur simulieren möchtest, bleibt Dir noch die Möglichkeit, tatsächliche Gegenstände zu verschicken oder besorgen zu lassen. Ob Du diesen zusätzlichen Aufwand betreiben kannst oder möchtest, kannst natürlich nur Du entscheiden.

Es sei abschließend erwähnt, dass die meisten Menschen an sich natürlich nicht zu 100% einem Lernstil zuzuordnen sind. Wir alle nehmen Informationen gleichzeitig mit unseren verschiedenen Sinneskanälen auf – dennoch gibt es bei vielen die Tendenz zu einem dominanten Sinn, auf dem sich der individuelle Lernstil aufbaut.

Auch die Tests zur Bestimmung des eigenen Lernstils sind eher zur Annäherung dessen geeignet. Am besten lässt sich der individuelle Lernstil wohl durch Introspektion und Reflexion des Lernprozesses bestimmen. Falls Du dennoch einen solchen Test machen möchtest, findest Du hier einen Link.

So geht man davon aus, dass etwa 50% der Menschen besonders von einem haptischen Lernstil profitieren, ungefähr 30% von einem visuellen und rund 20% von einem auditiven.

Wenn Du die oben zusammengefassten Tipps umsetzt, begünstigst Du den Lernerfolg für alle Teilnehmer*innen. Selbst wenn sich ein individueller Mensch nicht unbedingt dem auditiven Lernstil zuordnen würde, weiß er sicherlich eine gute Audio-Qualität zu schätzen.

Natürlich ist die Möglichkeit der Einbindung verschiedener Sinneskanäle auch stark vom Gegenstand des Online-Seminars abhängig. Insgesamt lässt sich aber immer festhalten: Variation ist im Rahmen eines Online-Seminars besonders wichtig.

Denn auch in unseren Online-Seminaren können wir dafür sorgen, dass wir unterschiedliche Lernstile unterstützen. In den meisten Lernszenarien empfiehlt sich ein guter Methodenmix, der möglichst viele Sinne einbezieht und dafür sorgt, dass sich alle Lernenden wiederfinden.

Die Umsetzung von methodischer Vielfalt ist im Online-Seminar jedoch vermeintlich schwieriger. Insbesondere die haptischen Elemente des Lernprozesses scheinen fast unmöglich umzusetzen. Doch mit etwas Kreativität – und zugegeben auch mit etwas mehr Aufwand – kannst Du auch praktische Elemente einbinden.