Kann informelles Lernen effektiv sein?

Wir denken bei Lernprozessen oft an gut geplante und unter der Anleitung von Lernbegleiter:innen durchgeführte Einheiten.

Dabei gibt es noch eine ganz andere Form der Lernens, die uns allen tatsächlich wesentlich häufiger begegnet: Informelle Lernprozesse!

Informelles Lernen geschieht im Alltag andauernd, aber auch am Arbeitsplatz finden diese Prozesse kontinuierlich statt.

Das heißt aber nicht unbedingt, dass Führungskräfte und Weiterbildner:innen auf diese weniger angeleiteten Lernprozesse gar keinen Einfluss nehmen können!

So können wir dafür sorgen, dass wir diese Form des Lernens in noch produktivere Bahnen leiten:

Wieso ist informelles Lernen ein Thema?

Aus welchen Gründen war und wird das Konzept des informellen Lernens überhaupt relevant?

Die Arbeitswelt entwickelt sich ständig weiter und sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Weiterbildungsverantwortliche überlegen, wie auftretende Wissensbedarfe gedeckt werden können.

Die >>Uni St. Gallen hat sich ebenfalls einmal Gedanken gemacht, welche Faktoren informelles Lernen wichtiger machen und hat unter anderem folgende Aspekte zusammengefasst:

  1. Digitalisierung und Dynamisierung
  2. Relevanz von informell erworbenem Wissen am Arbeitsplatz
  3. Unzufriedenheit mit traditionellen Weiterbildungsmaßnahmen
  4. Veränderte Bereitschaft zur Investition in Training und Weiterbildung
  5. Anerkennung neuer Anforderungen durch eine veränderte Lernkultur
  6. Einführung neuer Technologien zur Unterstützung informellen Lernens

Besonders das Stichwort „Dynamisierung“ ist interessant, da es beschreibt, dass berufstätige Menschen immer flexibler lernen müssen. Die Umwelt und der Arbeitsalltag bewegen sich immer schneller und daher müssen wir lernen, uns wichtige Kompetenzen auch aktiv anzueignen.

Gleichzeitig stellen diese Faktoren nämlich auch heraus, dass moderne Menschen eine immer größere Bereitschaft zum Lernen und zu beruflicher Weiterentwicklung mitbringen. Diese höhere Eigenständigkeit können wir bewusst nutzen und die richtige Unterstützung liefern.

Natürlich wollen wir als Weiterbildner:innen viele Lernbedarfe mit unseren Seminaren abdecken und vor allem auch schlechte Erfahrungen mit suboptimal geplanter Weiterbildung vergessen machen.

Wir müssen aber auch anerkennen, dass wir mit strukturierter Weiterbildung niemals alle alltäglichen Lernbedarfe ansprechen können werden. Daher ist die Entwicklung einer Lernkultur in Unternehmen und Organisationen so wichtig, damit sich informelles Lernen dauerhaft entfalten kann!

Was ist informelles Lernen (und was nicht?)

Die Definition von informellem Lernen hat sich seit dem Digitalisierungs-Boom und Social Media vielleicht noch ein wenig abgewandelt.

Denn mittlerweile können wir schließlich einmal schnell in einer 5-minütigen Pause von YouTube lernen, wie man ein Loch in der Hose stopft.

Der Begriff und das Konzept des informellen Lernens sind aber keinesfalls neu – diese Lernprozesse werden tatsächlich schon seit den 90ern erforscht. Heute bekommt der Ansatz wieder neue Bedeutung, da wir auch im Arbeitsalltag immer mehr auf die Integration einer Lernkultur setzen wollen.

Was ist also informelles Lernen genau? Eine >>Arbeit der Universität Paderborn von Julian Decius fasst die Merkmale wie folgt zusammen:

Informelles Lernen ist

  1. nicht institutionell organisiert
  2. wenig strukturiert
  3. kommt im Arbeitsalltag vor
  4. wird durch die Lernenden selbst gesteuert
  5. wird nicht pädagogisch angeleitet
  6. beinhaltet Reflexion und Lernen aus Erfahrungen
  7. ist ein bewusster Prozess
  8. hat das Ziel einer Problemlösung oder Handlung
  9. ist in einen sozialen Kontext integriert

Besonders die letzten zwei Punkte sind sehr interessant und zeigen, dass informelles Lernen häufig aus Alltagssituationen entsteht.

Um beim Beispiel von eben zu bleiben: Wir suchen vermutlich nach der Anleitung, wie man ein Loch stopft, weil wir gerade ein Loch in der Jeans haben. Auch wenn informelles Lernen also zunächst weniger bewusst erscheinen mag, ist es häufig besonders zielgerichtet.

Dieser Faktor kann für die Motivationsdynamik sehr entscheidend sein und macht informelles Lernen auch besonders handlungsorientiert.

Auch Punkt 9 haben wir vielleicht gar nicht direkt auf dem Schirm: Informelle Lernprozesse sind meistens in einen sozialen Kontext einzuordnen, also ein Team oder auch Führungsstrukturen.

Welche Rolle spielen wir?

Vielleicht fragst Du Dich jetzt nach dieser Definition immer noch: „Hm, wie soll ich bei Lernprozessen helfen, die ganz explizit ohne pädagogische Anleitung ablaufen?“

Das wichtigste Stichwort haben wir bereits oben einmal genannt: Lernkultur!

Als Weiterbildner:in oder Weiterbildungsverantwortliche:r sind wir Vorbilder für das Thema Lernprozesse – sowohl formelle als auch informelle. Wir müssen das Lernen fest in der Kultur eines Unternehmens oder eines Teams verankern.

Und dieser Prozess fängt bei Dir an und breitet sich davon ausgehend über die individuellen Teilnehmer:innen aus.

Je offener die Lernkultur kommuniziert wird, desto leichter finden sich Lernende auch in sozialen Verbänden zusammen und lernen in Zukunft gemeinsam. Denn es kommt noch immer vor, dass Menschen bei der Arbeit Schwierigkeiten haben, einen Lernbedarf zu erkennen und „zuzugeben“.

Wenn wir das Lernen zu einem alltäglichen Bestandteil der Arbeitsprozesse machen, in die ungeachtet einer Hierarchie alle eingeschlossen werden, wird die Angst vor Wissenslücken abgebaut. Genau deshalb muss eine Lernkultur bereits „von oben“ anfangen und die richtigen Signale für alle setzen:

  1. Basis schaffen: Eine gute Lernumgebung vorleben und/oder zur Verfügung stellen
  2. Anreize geben: Vorteile von Learning on the Job deutlich machen
  3. Austausch stärken: Lernende besser vernetzen
  4. Eigenständigkeit fördern: Zum Selbstlernen motivieren
  5. Digitale Begleitung: Inhalte und Unterstützung einfach zugänglich machen

Oftmals kann es in einem Unternehmen auch damit anfangen, dass für das Lernen ganz bewusst Räume geschaffen werden. Und zwar wortwörtlich – ein Raum, der speziell für Recherche und Weiterentwicklung gedacht ist, macht eine Lernkultur greifbar.

Auch digitale Plattformen und Ressourcen können Lernprozesse unterstützen und kommunizieren, dass Lernen explizit erwünscht ist. Daher ist hier im ersten Moment auch die Kontrolle eines Lernerfolgs oder -fortschritts gar nicht entscheidend.

Denn wir möchten schließlich langfristig eine Mentalität erzeugen, die das Lernen befürwortet und zunächst weniger ergebnisorientiert ist – auch das Thema einer offenen Fehlerkultur spielt hier also eine Rolle.

Fazit

Selbstständigkeit und Eigeninitiative werden für Menschen im Beruf immer wichtiger – das heißt aber nicht, dass Weiterbildner:innen obsolet werden!

Wir dienen nicht nur sporadisch in einer Vorbildfunktion, sondern geben auch immer wieder Methoden und Ansätze an die Hand. Als Expert:innen für Lernprozesse können wir ganz individuell betreuen und dabei helfen, den eigenen Lernstil zu finden.

Wir fassen das als Berufspädagog:innen unter dem Titel „Lernprozessbegleitung“ zusammen: Eine Rolle, die sich im Vergleich zum klassischen Schulunterricht erst einmal zurücknimmt, aber nicht weniger wichtig ist.

Denn gerade die individuelle Betreuung geht eben in einem lehrerzentrierten Ansatz häufig unter und eine aufmerksame Lernbegleitung kann hier den größten Unterschied machen. Denn wenn wir in der strukturierten Weiterbildung das Lernen begleiten und anleiten, begünstigen wir auch langfristig effektives informelles Lernen.

Oftmals wissen Erwachsene gar nicht (mehr), wie sie für sich oder in einer Gruppe besonders gut lernen. Wenn wir ihnen Wege und Methoden aufzeigen, können sie diese auch zukünftig anwenden und eine Lernkultur entwickeln.

Was ist eigentlich lernen

Was ist eigentlich Lernen?

Jemand, der, anderen etwas beibringen, also lehren möchte, sollte sich auf alle Fälle auch mit dem Lernen beschäftigen; denn erst, wenn er weiß, was Lernen ist, wie Lernen funktioniert, dann kann er hoffen, dass die Lernenden auch wirklich lernen. Im besten Fall lernen sie dann sogar gerne.

Lernen kann Spaß machen

Erst einmal gilt es, mit einem verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Unter „Lernen“ wird von vielen Menschen „Aufnehmen und Behalten von Wissen“ verstanden. Das ist das eben jenes Lernen, mit dem wir es in der Schule hauptsächlich zu tun hatten, und bei den meisten Menschen hat diese Erfahrung das Bild vom Lernen nachhaltig beeinflusst. Lernen bedeutet allerdings viel, viel mehr, und genau genommen muss der Mensch praktisch alles Lernen, was er benötigt, um in seiner Umgebung leben und handeln zu können: Das Allerwenigste kann er von Geburt aus, das Meiste – Gehen, Sprechen, Autofahren, Nahrung zubereiten, Konflikte behandeln, sich anziehen, Lesen und Schreiben, Flirten, zuverlässig sein, sich ausdrücken, ein Handy bedienen, sein eigenes Leben in den Griff bekommen und unendlich viel mehr – muss er sich im Laufe seines Lebens erst aneignen, d.h. eben: lernen.

​Bewusster oder gewollter Lernvorgang

​Lernen ist somit die Selbstentwicklung des Menschen. Hinter jeder Veränderung der Person (ohne die körperliche Veränderung) steckt ein – bewusster oder unbewusster, gewollter oder auch nicht gewollter – Lernvorgang, mit dem sich der Mensch an die Bedingungen seiner Umwelt anpasst und dadurch prägt, formt und bringt er sich selbst hervor. Man unterscheidet verschiedenen Lernebenen, die deutlich machen, was alles erlernt und gekonnt werden soll:

​Wissen

Fertigkeiten

Fähigkeiten

Kompetenzen

Selbstbild

​Insofern kann man Lernen als eine Art menschlichen Grundprozess ansehen, der genau so zum menschlichen Leben gehört wie etwa das Atmen oder Verdauen. Lernen ist permanente Verarbeitung von Erfahrungen mit der Umgebung und ihre Umsetzung in „persönliche Ausstattung“ (also in Wissen, Fähigkeiten, Einsichten, Gefühlsstrukturen, innere Haltungen usw.). Lernen ist somit Teil der menschlichen Grundausstattung.

​Lernen liegt in unserer Natur

​Lernen ist etwas, was gesunder Mensch nicht erst lernen muss, sondern ganz selbstverständlich als eine zunächst ganz unbewusste Energie mitbringt. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man kleine Kinder beobachtet, die gar nicht anders können, als Lernen – und denen das offenbar auch Spaß macht.

Lernen ist geradezu die ursprüngliche Lebensform, und es gehört zu den irritierenden Erfahrungen, wenn man erlebt, wie diese Lernenergie später dann möglicherweise erlahmt, Lernen verweigert, vermieden, abgewehrt wird und nur noch schrecklich viel Mühe zu machen scheint.

Lernlust oder Lernlast – Lernprozesse wieder in Gang bringen

​Dann lautet die Frage nicht: Wie kann jemand lernen, sondern sie lautet: Was ist passiert, dass diese ursprüngliche Energie des Lernens versiegt ist, und welche Barrieren müssen über weggeräumt werden, damit sich diese Lernlust wieder entfalten kann?

​Im Kontext des lebenslangen Lernens geht es also darum, nicht nur Lernprozesse in Gang zu bringen, sondern eben sehr oft, Lernhindernisse zu beseitigen. Die entscheidende Frage lautet also: Was hindert Dich eigentlich am Lernen?  Es ist selbstverständlich auch ein Lernvorgang, wenn wir Eigenschaften und Gewohnheitenbilden oder ablegen, wenn wir unser Verhalten oder unsere Überzeugungen ändern.

​Für berufliches Lernen ist dieses weite, über bloße Wissensaufnahme hinausgehende Lernverständnis außerordentlich wichtig, denn hier reicht es ja niemals aus, die Dinge zu wissen – man muss sie auch tun können, d.h., man muss lernen, zu handeln undsich selbst, seine Bewegungen, Gefühle, Absichten, Erwartungen, Vorgehensweisen usw. entsprechend zu steuern.

Formelles und informelles Lernen

Wenn man Lernen so weit fasst, dann fällt gleich noch wichtiges Merkmal des Lernens auf: Das wenigste, was der Mensch lernt, lernt er mit Lehrer und innerhalb von organisierten Lerninstitutionen wie Schulen u. ä. Lernen ist also offenbar überhaupt nicht daran gebunden, dass einer da ist, der lehrt. Das hat in der Lernforschung zu der begrifflichen Unterscheidung von formellem und informellem Lernen geführt. Formelles Lernen bezeichnet geplante Lernwege die meist dann in Umgebungen stattfinden, die ausdrücklich zum Lernen geschaffen worden sind.

​Das informelle Lernen dagegen ist das Lernen, welches sich praktisch überall abspielt, ohne dass es geplant oder organisiert wird. Es findet ganz selbstverständlich und spontan statt. Beim informellen Lernen handelt es sich häufig um sogenanntes „implizites“, d.h. unbewusstes Lernen, das sich beinahe als ein Nebenprodukt anderer Tätigkeiten ergibt.

Man schätzt, dass auf diese informelle Weise etwa 70% allen menschlichen Lernens zustande kommt! Das heißt: Weitaus das Meiste, das wir lernen, lernen wir außerhalb von speziell dafür vorgesehenen „Lernanstalten“ und vollkommen unabhängig davon, dass da einer ist, der uns etwas beibringen will oder uns zum Lernen anleitet.

Wer kennt das nicht, dass man gar nicht merkt, dass und was man gelernt hat. Es gibt keine Lebens- und Handlungssituation in der nicht gelernt wird, unabhängig davon, ob sie in einem institutionellen Rahmen stattfindet, der bewusst dem Lernen dient – also in Schulen, Kursen, Seminaren, etc., vorausgesetzt, es sei denn, diese Situation wird bereits vollständig beherrscht.

Informell zu lernen, ist die primäre, ursprüngliche Entwicklung. Formelles Lernen tritt dann auf, wenn etwas zu komplex ist, um informell, d.h. ohne Hilfe gelernt werden zu können, oder wenn etwas gelernt werden soll, dass der Lernende von sich aus nicht lernen möchte, z.B., weil es ihn gerade nicht interessiert bzw. weil er es ausseiner aktuellen Situation heraus nicht braucht (oder nicht zu brauchen meint).

​Fremdbestimmtes Lernen

​Bei diesem letzten Fall handelt es sich um eben jenes fremdbestimmte Lernen, d.h. um ein Lernen, von dem andere sagen, dass es wichtig und notwendig ist. In diesem Fall werden Lernziele durch irgendwelche Instanzen definiert und vorgegeben. Das Lernen wird also nicht durch den Wunsch oder die Notwendigkeit ausgelöst, eigene Erfahrungen zu verarbeiten, sondern durch eine Forderung außenstehender.

​Da dies die vorrangige Erfahrung in der Schule ist, identifizieren Lernende häufig formelles Lernen vor allem mit Fremdbestimmung, Zwang und fremden Forderungen. Auf diese Weise ist Lernen bei sehr vielen Menschen negativ besetzt und löst nicht gerade Lust und Bereitschaft aus (zweifellos einer der Gründe, weshalb die Kraft zum Lernen im späteren Leben bei vielen Menschen blockiert ist).

​Allerdings darf nun auch klar sein, dass dieses fremdbestimmte formelle Lernen nur einensehr geringen Teil des Lernens überhaupt ausmacht und keineswegs allgemein für Lernenstehen kann. Coen van Houten unterscheidet z.B. drei verschiedene Arten des Lernens:

Das Lerndreieck


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