Diversität in Lerngruppen – Hindernis oder Lernchance?

Hast Du diese Situation schon einmal erlebt:

Du schaust Dich während einer Sitzung um und musst feststellen, dass einige Lernende komplett überfordert scheinen, während andere schon vor Langeweile längst abgeschaltet haben.

Da kann man sich als Lernbegleiter:in erst einmal hilflos fühlen. Wie kann das eigentlich passieren und was machen wir jetzt?

In einem Seminarraum schaust Du in viele Gesichter. Und hinter jedem dieser Gesichter verbirgt sich eine ganz individuelle Geschichte, die sich auch auf den Lernprozess auswirkt.

In konventionellen Lernsettings kommen hier leider meistens eher die lernhemmenden Auswirkungen zum Vorschein. Dabei gibt es auch so viele lernförderliche Aspekte, die sich auf der Individualität der Lernenden aufbauen lassen.

Gerade in der Erwachsenenbildung begegnet uns die Heterogenität in Lerngruppen sehr häufig. Daher sollten wir uns auch auf Ansätze konzentrieren, die diese Eigenschaft zu einer Stärke machen:

Motivations-SOS!

Das eingangs beschriebene Szenario kann wie eine echte Pattsituation wirken.

Denn egal, auf welche Teilgruppe wir uns dann fokussieren wollen, die andere wird zwangsläufig weiter über den Rand der Motivationskurve abfallen.

Denn das ist eigentlich das Hauptproblem, das beide Lernhindernisse gemeinsam haben. Sowohl Unter- als auch Überforderung sind echte Motivationskiller.

Überforderung bedeutet Frust. Und anhaltender Frust führt letztendlich zum Aufgeben und resultiert oft auch in einem verminderten Selbstwertgefühl. Das ständige Arbeiten an der persönlichen Leistungsgrenze ist kognitiv äußerst anstrengend und führt letzten Endes nur zu Demotivation.

Dabei liegt die Problematik meist keinesfalls in der intellektuellen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer, sondern vielmehr in mangelndem Vorwissen oder methodischen Fehleinstellungen.

Auf den ersten Blick mag Unterforderung wie das kleinere der beiden Probleme wirken. Denn was macht es schon groß, wenn man mehr weiß und kann als gefordert ist? Tatsächlich ist diese Situation auf Dauer aber für den Lernerfolg genauso hinderlich. Teilnehmer:innen, die sich konstant unterfordert fühlen, schalten irgendwann einfach ab und sind für ein Lernerlebnis nicht mehr zugänglich.

Zunächst scheinen die beiden Pole wie unvereinbare Extreme zu wirken, doch es gibt Möglichkeiten und Wege die Verschiedenheit der Gruppenmitglieder zu Gunsten einer produktiven Lernerfahrung zu nutzen – ohne dabei eine der beiden Seiten einfach ihrem Schicksal zu überlassen.

Diversität als Lernkatalysator!

Auch wenn die Durchführung eines Seminars mit einem heterogenen Teilnehmerfeld manchmal besondere Herausforderungen darstellt: in der Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden liegt auch das größte Lernpotenzial!

Denn wenn Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Lebenserfahrungen zusammenkommen, kann der Austausch besonders lebendig und das Lernen besonders fruchtbar werden. Daher liegt es an den Lernbegleiter:innen, dafür zu sorgen, dass dieser Austausch auf einen entsprechenden Boden fallen kann.

Denn wenn in der Erwachsenenbildung Abiturienten oder Akademiker:innen neben Schulabbrechern sitzen, mögen Einige unterbewusst zunächst dazu zu neigen die letztere Gruppe als benachteiligt – oder insgeheim sogar als hinderlich – zu empfinden.

Doch genau diese unterschiedlichen Voraussetzungen kann man durch das richtige methodische Lernumfeld zu einem Katalysator des Lernerfolgs machen!

Lehrformen, die eine Teilnehmergruppe in ihrer Gänze anzusprechen versuchen – wie der klassische Frontalunterricht – machen häufig von diesen potentiellen Vorteilen keinen Gebrauch.

Denn es gibt so viele Merkmale in jeder Hintergrundgeschichte, die den Lernprozess bereichern können. Selbst wenn es keine großen Leistungs- oder Wissensunterschiede in einer Gruppe gibt, verpuffen viele mögliche Lernchancen aus anderen Bereichen.

Spontan wünschen sich wohl einige Lehrende eine möglichst homogene Lerngruppe, in der die Zusammenstellung im Bezug auf Alter, Bildungshintergrund, Berufsbild und Leistungsfähigkeit möglichst einheitlich sind. Denn es mag leichter erscheinen, eine solche Lerngruppe pädagogisch anzuleiten.

Tatsächlich zeichnen sich aber auch scheinbar homogene Gruppen durch eine individuelle Verschiedenheit aus, die durch ein starres Lehrkonzept vernachlässigt werden. Indem die Individualität ignoriert wird, verfestigt sich die Unterschiedlichkeit nur immer weiter.

Gut vorbereitet ist halb gewonnen

Doch wie sollen wir gleichzeitig auf alle Mitglieder einer Gruppe eingehen, die so unterschiedlich sind?

Die Heterogenität von Lerngruppen stellt Lehrende immer wieder vor Herausforderungen in der Planung und Durchführung eines Seminars. Da in vielen Fällen die individuellen Wissensstände und der Background sehr unterschiedlich sind, lässt sich nur schwerlich eine Lernmethode in Einheitsgröße finden, die allen Teilnehmern passen soll.

Daher ist das Geheimnis oftmals, erst gar nicht diesen Versuch zu unternehmen. Stattdessen können wir der Individualität Raum geben und das entstehende Lernpotenzial ausschöpfen.

Damit wir uns vor Seminarstart ein besseres Bild von der Gruppe machen können, empfiehlt sich grundsätzlich immer etwas Vorbereitung.

Das beginnt ganz basal mit unserer inneren Einstellung. Wir müssen einerseits die Unterschiedlichkeit der Lernenden bewusst annehmen und uns selbst andererseits manchmal mehr zurücknehmen.

Auf der anderen Seite kann es trotzdem sehr vorteilhaft sein, möglichst viel im Vorfeld über die Gruppenkonstellation zu wissen. Falls es beispielsweise große Unterschiede im Vorwissen gibt, kannst Du hier zusätzliche Inhalte vorschalten oder zu Beginn methodisch darauf eingehen.

Du erfährst außerdem bereits einige Impulse, auf die Du später gezielt inhaltlich eingehen kannst oder Merkmale die für die Gruppenbildung interessant sein können.

Der richtige Ansatz

Diese Merkmale sorgen dafür, dass das Lernen in einer bunten Lerngruppe besonders produktiv werden kann:

  • Soziales und kooperatives Lernen
  • Methoden mit Fokus auf Dialog und Austausch + Feedback
  • Freiheit in der Bearbeitungsweise
  • Weg von Lehrendenzentrierung

Beim sozialen und kooperativen Lernen ist der Lernerfolg an das Kollektiv geknüpft. Lernen ist keine Einbahnstraße, sondern entsteht zwischen vielen Knotenpunkten. Die Lernbegleitung schafft dabei den Lernraum, in dem die Lernenden besonders viel selbstständige Lernleistung und Eigenaktivität zeigen dürfen.

Die Verantwortung des Lernens wird zwischen Lehrenden und Teilnehmer:innen geteilt, sodass sich jeder Einzelne aktiv beteiligt fühlt. Auch die möglichst große Offenheit in der Bearbeitung arbeitet in diese Richtung und überträgt Lernverantwortung.

Gleichzeitig bekommen die Lernenden so die Möglichkeit, ihre individuellen Erfahrungen einzubinden und mit der Gruppe zu teilen. Auf diese Weise kommen oftmals so viele, auch ganz unerwartete, inhaltliche Aspekte zum Vorschein.

So können auch Themen Raum bekommen, die ansonsten vielleicht zu wenig Beachtung finden und die Teilnehmenden selbst werden besonders motiviert und engagiert arbeiten.

Besonders zu betonen ist auch die Wichtigkeit von Kommunikation innerhalb der Gruppe. Ein offener Dialog und kontinuierliches Feedback können dabei helfen, den Lernprozess besser zu bewerten und gegebenenfalls anzupassen.

Bei der Arbeit mit heterogenen Lerngruppen bietet es sich durchaus an, die Sozialformen im Seminar regelmäßig zu wechseln. Es sollte eine gesunde Mischung aus Plenum, Einzel-, Paar- und Gruppenarbeit herrschen.

Da wie bereits erwähnt aber die größte Stärke heterogener Teilnehmerverbände in der Gruppendynamik liegt, bietet sich eine besonders hohe Quote an Gruppenarbeiten an.

Die Unterschiedlichkeit innerhalb einer Gruppe muss nicht zwanghaft nivelliert werden, sondern kann zu einem Antrieb werden – nicht nur für inhaltliches, sondern vor allem auch für soziales und kulturelles Lernen!

Unter- und Überforderung im selben Seminarraum – Was jetzt?

Du schaust in die Runde Deiner Lernenden – einige scheinen gelangweilt, andere beinahe verzweifelt.

Ist Dir das als Lernbegleiter:in auch schon mal begegnet? Manchmal können wir gar nicht nachvollziehen, wie beide Phänomene in einem Seminarraum gleichzeitig auftreten können.

Doch insbesondere in den teils sehr heterogenen Lerngruppen der Erwachsenenbildung, kommen Lernende mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu uns.

Sowohl Unter- als auch Überforderung führen schnell zu Frustration und machen Lernende nicht mehr für Lernerlebnisse zugänglich, wenn der Zustand zu lange anhält.

Oftmals führt die Angst vor Misserfolg zu Passivität. Die Lernenden möchten sich nicht in einer Gruppe blamieren und zugeben, dass sie etwas nicht verstehen oder wiederholen möchten.

Daher ist hier eine aufmerksame Lernprozessbegleitung besonders wichtig.

Was lösen Über- und Unterforderung aus?

Wenn Teilnehmer:innen kontinuierlich an ihrer Leistungsgrenze lernen müssen, ermüden sie schnell mental und verlieren dann die Motivation. Denn natürlich müssen wir uns in einem Lernprozess ein wenig strecken, aber konstante Überforderung kann sich sogar negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken.

Unterforderte Teilnehmer:innen werden hingegen manchmal zu Störer:innen oder schalten einfach ab. Dadurch wird ihr Vorwissen nicht in einer positiven Weise für die Lerngruppe genutzt, sondern verpufft.

In beiden Fällen bekommen Lernende nicht das lohnende Gefühl des Lernerfolgs, das uns motiviert weiterzumachen.

Zunächst einmal mag Unterforderung wie das kleinere Problem wirken, aber auch diese Lernenden nehmen am Ende nicht viel aus einer Veranstaltung mit, außer vielleicht einem allgemeinen Gefühl.

Dieses wird sich dann in Deinem Feedback zeigen und natürlich ist das auch überhaupt nicht Dein Anspruch als Lernbegleiter:in. Gibt es also Mittel und Methoden, um beiden Gruppen zu helfen?

Bevor es überhaupt losgeht

Du kannst tatsächlich ein wenig Stress vermeiden, wenn Du bereits im Vorfeld einer Veranstaltung mehr über Deine Lerngruppe in Erfahrung bringst.

Da reichen meistens schon ein kurzes Quiz und eine gesunde Selbsteinschätzung der Teilnehmenden.

Mit diesem ersten Eindruck kannst Du bereits wichtige Schlüsse ziehen: Wie unterschiedlich ist der Wissensstand bei den Basics?

In der Praxis weißt Du dann, wie viel Zeit Du am Anfang etwa mit der Klärung von Grundbegriffen verbringen musst. Denn wenn Du beispielsweise mit einer sehr erfahrenen Lerngruppe bei Adam und Eva anfängst, kann sich schnell Langeweile und Unterforderung einstellen.

Wenn die Gruppe bis auf wenige Ausnahmen insgesamt sehr viel Vorwissen hat, kannst Du zum Beispiel auch etwas Basiswissen vorschalten und in Form von Selbstlerninhalten zur Verfügung stellen.

Das kann Dir dann zum Start etwas Zeit sparen und die erfahrenen Lernenden steigen nicht sofort aus.

Wiederholung auslagern

Du kannst nicht nur zu Beginn einige Inhalte vorschalten, sondern auch zu jeder anderen Zeit mit Selbstlern-Inhalten unterstützen.

Diese weiterführenden Inhalte müssen nicht verpflichtend sein, können aber beispielsweise Wiederholungen in den eigentlichen Sitzungen ersetzen oder verkürzen.

Denn gerade die Redundanz von ohnehin schon zu sehr bekannten Inhalten kann für die tendenziell bereits unterforderte Gruppe der Faktor sein, der sie endgültig die Motivation kostet.

Bei der Auslagerung kann Dir vor allem auch eine gute Online-Plattform sehr von Nutzen sein. Hier kannst Du Lernunterlagen hinterlegen, die alle Lernenden bei Bedarf nutzen können, aber vor allem auch tendenziell überforderte Teilnehmer:innen mehr abholen.

So können sie nämlich ganz nach ihrem individuellen Lernbedarf wiederholen und werden nicht vom Lerntempo anderer beeinflusst.

Differenzierung

Lernen ist selten eine Einheitslösung und in heterogenen Lerngruppen sogar noch weniger.

Daher kann es allen entgegenkommen, wenn Aufgabenstellungen in verschiedenen Abstufungen gegeben werden. Dann können Lernende mit weniger Vorwissen sich mit den Basics befassen, während erfahrenere Teilnehmer:innen nicht nach 5 Minuten Löcher in die Luft starren.

Denn das frustriert im Übrigen nicht nur diese Lernenden selbst, sondern übt auch zusätzlichen Druck auf die anderen aus.

Mache bei der Aufgabenstellung dabei klar, dass es keinen Unterschied macht, bis zu welcher Differenzierung die Lernenden kommen. Es gibt keine „Extrapunkte“ oder ähnliches, jeder soll einfach die Aufgaben so bearbeiten, wie es sich gut anfühlt.

Es kann auch ratsam sein, immer ein paar weitere Aufgaben in der Hinterhand oder im Kopf zu haben, falls Du merkst, dass einzelne Teilnehmer:innen sehr schnell fertig sind.

Ein paar Beispiele für differenziert gestellte Aufgaben kannst Du Dir zum Beispiel >>hier ansehen.

Auch eine differenzierte Bearbeitungsform von Aufgaben und Projekten kann den Lernenden sehr entgegenkommen:

Je offener die möglichen Bearbeitungs- und Lösungswege sind, desto weniger sind sie eingeengt und können ihre Stärken einsetzen. Auf diese Weise haben sie mehr Erfolgserlebnisse und bleiben länger motiviert.

Quelle

Soziales Lernen nutzt die Gruppe

Du hast eine Gruppe, in der sich einige Expert:innen befinden und die anderen kommen kaum mit? Dann nutze doch ihre Kompetenz in verschiedenen Gruppenarbeiten.

Grundsätzlich ist soziales und kollaboratives Lernen immer die beste Variante bei heterogenen Lerngruppen. Denn so wird die Individualität nicht in eine Form gepresst, sondern bewusst in einem gruppendynamischen Prozess genutzt.

Je mehr sich die Gruppenmitglieder untereinander austauschen, desto mehr lernen sie auch voneinander. Ein solcher Lernprozess hat meist gefühlt eine ganz andere Qualität als ein Input, der von Lernbegleiter:innen kommt.

Denn Lernen ist keine Einbahnstraße, sondern entsteht beim kollaborativen Lernen zwischen vielen Knotenpunkten.

So sind alle Lernenden aktiv beteiligt und tragen etwas bei – da bleibt ihnen gar keine Zeit zum Abschalten, selbst wenn sie die Inhalte schon kennen.

Wenn Du einen „Lernen durch Lehren“ Ansatz einsetzen möchtest, kannst Du hier die Themen entsprechend verteilen. Du gibst dann natürlich die komplexeren Themenbereiche an die Lernenden mit mehr Vorwissen.

Auch mehrstufige Methoden mit verschiedenen Sozialformen eignen sich besonders für heterogene Gruppen. So haben langsamere Lernende die Chance, sich in mehreren Abschnitten mit einem Thema zu befassen. Gleichzeitig werden die einzelnen Phasen nicht zu lang und die Lernenden mit mehr Vorwissen bekommen so kognitive Abwechslung.

Ein Beispiel ist etwa die Methode „Think-Pair-Share“. Sie vereint sowohl etwas Einzelarbeit, in der alle Lernenden ihre Gedanken unbeeinflusst sammeln können, als auch die wertvolle Arbeit in Kleingruppen:

Mehr einbinden

Wenn Du merkst, dass bestimmte Teilnehmer:innen trotz aller Inhalte zu wenig gefordert werden, kannst Du sie auch anderweitig einbinden.

Nicht als „Beschäftigungstherapie“, aber damit für sie weniger Leerlauf entsteht. Sie können Dir beispielsweise bei der Vorbereitung einer Methode helfen oder technische/organisatorische Aufgaben übernehmen.

Vermutlich kannst Du sogar etwas Hilfe bei diesen Dingen gebrauchen und die Lernenden können sich auf etwas konzentrieren. Natürlich stehen die Inhalte und Aufgaben weiterhin an erster Stelle – also binde sie selbstverständlich nicht zu einem Grad ein, der ihnen dabei im Weg steht.

Aber manchmal müssen wir einfach wiederholen oder auf andere Teile der Lerngruppe Rücksicht nehmen und zusätzliche kleine Aufgaben können verhindern, dass Du tendenziell unterforderte Teilnehmer:innen ganz verlierst.