Wenn Du schon einmal mit Andrea zusammengearbeitet hast, kennst Du vielleicht einen ihrer berufspädagogischen Lieblingsbegriffe: Dosierte Überforderung.
Das klingt im ersten Moment eventuell ein wenig scherzhaft, ist aber tatsächlich methodisch fundiert. Doch der Begriff „Überforderung“ mag Dich zunächst noch irritieren, denn das ist doch eigentlich etwas Schlechtes, oder?
Daher ist das Stichwort Dosierung hier auch so essenziell, denn im Prinzip geht es um die Balance.
Wie und wieso das Konzept der dosierten Überforderung auf Basis der Flow Theorie funktioniert, erklären wir jetzt:
Schlüsselwort: Motivation
Die Hintergründe der Motivationsdynamik sind eine wahre Wissenschaft.
Was uns wirklich motiviert, ist natürlich auch eine wichtige Grundlage für Lernprozesse und das Erreichen von Lernzielen. Denn wir wissen alle, dass unmotivierte Teilnehmer:innen Inhalte nur schlecht oder gar nicht aufnehmen.
In diesem Zusammenhang wirst Du auch oftmals die Begriffe der intrinsischen und extrinsischen Motivation hören.
Grundsätzlich gilt: Intrinsische Motivation ist meistens die Königsdisziplin, denn sie ist effektiver und nachhaltiger. Dabei lässt sich diese von innen kommende Motivation durchaus auch von außen ein wenig anstoßen.
Denn was motiviert uns eigentlich?
Oftmals motivieren uns Erfolgserlebnisse – aber sogar vor allem solche, die wir uns wirklich verdient haben, nachdem wir kleinere Hindernisse überwinden mussten. Denn so wird der Lernerfolg wirklich zu einem lohnenden Gefühl, von dem wir immer mehr bekommen möchten.
Das liegt auch daran, dass sich diese Lernerfolge sehr positiv auf die eigene Selbstwahrnehmung und das Selbstvertrauen auswirken.
Dosierte Überforderung?
Kommen wir noch einmal auf diesen interessanten Begriff und seine Hintergründe zurück. Die >>GAB München definiert ihn beispielsweise folgendermaßen:
„Eine Aufgabe ist eine passende Lernaufgabe, wenn sie über die vorhandenen Kompetenzen bzw. die eigene Komfortzone hinausgeht, aber mit Anstrengung, ggf. mehreren Versuchen, Hilfe und Begleitung zu bewältigen ist.“
Diese Definition reißt im Prinzip alle wichtigen Punkte an: Lernen sollte uns in einem Maß fordern, das wir realistisch auflösen können. Das bedeutet nicht, dass das immer auf Anhieb funktionieren muss. Tatsächlich sind die aktive Selbstveränderung und Anpassung, die dann zum Erfolg führt, die Basis für das Lernen.
In einem Lernprozess müssen und sollen wir uns manchmal ein wenig strecken, zusätzliche Informationen oder Hilfe einholen und Selbstständigkeit üben. Denn wir können schließlich auch aus „Fehlversuchen“ immer etwas lernen und selbst wenn sie am Ende nur einem gefühlt noch größeren Lernerfolg dienen.
Als Lernbegleiter:innen müssen wir also für Herausforderungen bzw. Anforderungen in einem Sinne sorgen, die den Lernprozess als Ganzes nicht gefährden.
Lernen im Flow
Dazu passt auch das Konzept der Flow Theorie.
Das Wort „Flow“ sagt eigentlich auch schon alles aus, was wir erreichen wollen: Einen gesunden Lernfluss. Das bedeutet aber keinesfalls, dass der Prozess stumpf oder anspruchslos sein sollte!
Im Gegenteil, das gesunde Maß an Forderung ist der Schlüssel zum Flow:
Du siehst, der Flow befindet sich genau im Gleichgewicht zwischen Unter- und Überforderung, ohne zu sehr in eine Richtung auszuschlagen.
Denn unterforderte Lernende sind gelangweilt, während zu stark geforderte Lernende kaum noch aufnahmefähig sind. Es kann sogar sein, dass unterforderte Lernende den Mangel an Forderung „persönlich“ nehmen und sich in ihren Kompetenzen unterschätzt fühlen.
Du kannst vermutlich schon erkennen, dass der Flow für jeden Menschen sehr individuell aussehen kann.
Was eine Lernende überfordern mag, kann für den anderen Lernenden die perfekte flow-erzeugende Aufgabe sein.
Daher ist hier eine aufmerksame Lernprozessbegleitung besonders entscheidend. Aufgaben und Zuständigkeitsbereiche müssen nicht zwanghaft in eine Einheitslösung gepresst werden, sondern dürfen gerne differenziert sein.
So bleiben Lernende im Flow
Wenn wir den Flow möglichst lange aufrecht erhalten wollen, können diese Maßnahmen helfen:
- Workload flexibel anpassen
Wenn der >>Cognitive Load im Lernprozess zu groß wird, stellt sich Überforderung ein. Das ist eben nicht nur lernhinderlich, sondern wirkt sich sogar weitgehender auf die mentale Verfassung oder das Selbstvertrauen aus. In diesen Situationen müssen wir also etwas vom Gas gehen und etwa kleinschrittiger vorgehen oder mehr aktiv unterstützen.
Wenn Du siehst, dass Lernende hingegen immer zu schnell fertig sind, weist das eventuell auf Unterforderung hin. Nicht nur, dass diese Teilnehmenden im Prinzip gar nichts Neues lernen – sie arbeiten auch nur stumpf etwas ab. Sie müssen dann dringend wieder mehr gefordert werden, um in den Flow zurückkehren zu können.
- Vertrauen schenken!
Gerade am Anfang können wir dazu neigen, die Grenzen zu eng anzulegen. Denn oftmals haben wir mehr Furcht vor der Überforderung als vor der Unterforderung. Dabei sind in der Praxis beides gleichermaßen Motivationskiller.
Vertraue Deinen Lernenden grundsätzlich lieber ein wenig zu viel, dann werden alle Seiten oftmals überrascht sein, welche Hindernisse überwunden werden können.
Das eigentliche „Ergebnis“ ist dann gar nicht immer so wichtig, sondern eher das entstandene Gefühl, sich durch kleinere Widerstände gearbeitet zu haben.
- Selbstständigkeit fördern
Die Zeiten, in denen wir Lernenden alles vorkauen und fertig präsentieren, sind hoffentlich in den meisten Fällen vorbei.
Doch auch gerade wenn wir den Flow nicht unterbrechen und angemessen fordern wollen, ist Selbstständigkeit wichtig.
Denn ein Lernerfolg und das passende Motivationsgefühl stellt sich schließlich nur ein, wenn wir es uns „verdienen“.
Wenn kleinere Lernhindernisse auftreten, sollten wir Lernende also immer zunächst ermutigen, selbstständig Informationen zu suchen oder etwas erneut zu versuchen. Denn wenn immer alles zu leicht geht, fällt die Kurve schnell in Richtung Unterforderung ab.
- Weiterführende Angebote anlegen und bereitstellen
Wenn Du merkst, dass der Flow richtig gut funktioniert und Lernende von einem Thema gar nicht genug bekommen können – wieso sollten wir sie zurückhalten?
Diese Begeisterung kann sogar eine ganze Lerngruppe mitziehen oder Dir neue Teilgebiete eröffnen, die für zukünftige Veranstaltungen interessant sind.
Gerade über eine Online-Plattform oder externe digitale Quellen kannst Du eine tolle Sammlung erstellen, die Dir auch während eines Seminars helfen kann. Denn so hast Du immer einen Fundus an zusätzlichem Material oder Aufgaben, wenn Du sie im Sinne des Flows brauchst.