Die Verschiebung von Präsenz auf Online war für viele Trainer*innen und Teilnehmer*innen schwierig. In vielen Fällen ging es dann um Technik oder Methodik. Doch viele Coaches, Therapeut*innen oder Berater*innen hatten noch ein ganz anderes Problem: Denn viele von ihnen betreuen sensible Themengebiete, die ganz nah an den Menschen herangehen.
Dabei umfasst sensibel eigentlich alles, was persönlich ist. Dazu zählen beispielsweise auch psychologische Betreuung, Trauerbegleitung oder Selbsthilfegruppen. Diese Art von Betreuung baut auf einem Vertrauensverhältnis auf, das selbst im selben Raum durchaus etwas Anlauf brauchen kann.
Online sind viele Menschen oftmals sogar noch gehemmter und eine Bindung zwischen Coach und Teilnehmer*in oder innerhalb einer Gruppe ist schwieriger zu erzeugen. In der Folge haben Teilnehmer*innen dann oft das Gefühl, dass Sitzungen weniger effektiv sind oder halten sich einfach mehr zurück.
„Distanzlernen“ ist auch ein Begriff, der sich gefestigt hat. Und Distanz ist schließlich oft genau das Gegenteil von dem, was Du bei sensiblen Themen brauchst. Wie hilfst Du Menschen also dabei, sich auch Online mehr öffnen zu können? Hier sind einige Tipps, wie Du auch im virtuellen Raum mehr gefühlte Nähe schaffen kannst:
Der Raum
Vermutlich gestaltest Du normalerweise Deinen Raum ganz bewusst. Entweder wählst Du passende Gegenstände, spezielles Licht oder andere Faktoren, die für die richtige (Ein)Stimmung und das Gefühl eines sicheren Raumes sorgen.
Wenn Dir diese Möglichkeit entfällt und die anderen Personen eventuell in einer eher improvisierten Ecke ihrer Wohnung sitzen oder sich vor den Kindern verstecken müssen, ist die Grundstimmung gleich ganz anders. Die mangelnde Kontrolle über den Raum kann so für persönliche Themen zu einem echten Hindernis werden. Denn in vielen Fällen sind auch Themen Zuhause Teil der Gespräche und Teilnehmer*innen sind so extrem gehemmt, da sie aus dem jeweiligen Umfeld erst gar nicht rauskommen.
Was kannst Du hier tun? Im Grunde bieten sich zwei Optionen:
- Du gibst gleich zu Beginn konkrete Anweisungen zur Gestaltung des Raumes der Teilnehmer*innen. Du schickst vor Beginn einer Sitzung Nachrichten, dass bestimmte Gegenstände rauszulegen sind oder schickst – falls möglich – diese Gegenstände im Vorfeld selbst. Gib‘ eine kleine Anleitung, wie die Person sich unter ihren jeweiligen Umständen einen möglichst idealen Raum schaffen kann. Konzentriere Dich dabei auf kleine Dinge mit großer Wirkung, denn vollständige Einsicht in den Raum des Gegenübers bekommst Du Online nun einmal nie.
- Eine vielleicht auf Dauer bessere Lösung, besonders für Einzeltermine: Arbeitest Du in einem Gebäude mit vielen derzeit leeren Räumen oder hast innerhalb Deiner eigenen Räume einen eigenen Bereich? Dann kannst Du dafür sorgen, dass Deine Teilnehmer*innen auch unter Hygiene-Vorgaben diesen Raum nutzen können. Diesen separierten Raum kannst Du dann ähnlich vorbereiten wie Deinen üblichen Raum und entsprechende Gegenstände oder Unterlagen direkt bereitlegen. Die Teilnehmer*innen haben dort ganz sicher ihre Ruhe und können ihre Gedanken und Gefühle von ihrem üblichen Umfeld trennen. Außerdem fühlen sie sich Dir als Trainer*in so sicherlich etwas näher, da sie es auch räumlich sind.
Der virtuelle Raum
Auch im virtuellen Raum hast Du Möglichkeiten, die Teilnehmer*innen besser einzustimmen oder auf eine kleine Reise mitzunehmen.
Zum einen kannst Du über Deinen eigenen virtuellen Hintergrund die Stimmung direkt steuern. Entweder thematisch oder einfach auch emotional. Entsprechende Farben oder Landschaften können sich beruhigend auswirken. Auch als kleine Aufgabe lässt es sich einsetzen: Die Teilnehmer*innen können einen passenden Hintergrund zu ihrer Stimmung oder einer Assoziation suchen.
Andererseits ist die immersive Ansicht bei Zoom oder der Zusammen-Modus bei Teams eine tolle Möglichkeit, um einen passenden virtuellen Raum zu schaffen. Möchtest Du eine Gruppe vielleicht um ein Lagerfeuer setzen oder gemeinsam an einem Wasserfall rasten? Du kannst auch die Teilnehmer*innen bitten, eigene relevante Bilder mitzubringen, die sich hierfür eignen.
Einstimmung und kleine Rituale
In Online-Seminaren neigen wir manchmal dazu, das Kennenlernen abzukürzen, wodurch eine Gruppendynamik schwieriger aufkommen kann. Dasselbe gilt auch für Sitzungen und Gruppen, die sich persönlichen Themen widmen.
Eine intensive Einstimmung gibt den Teilnehmer*innen genug Zeit, um sich mit der Online-Situation und Dir vertraut zu machen, bevor sie sich mit sensiblen Themen auseinandersetzen müssen.
In Gruppen wird der persönliche Faktor noch wichtiger. Du solltest dem Kennenlernen auf jeden Fall mehr Raum als üblich geben, um das „Distanz-Gefühl“ der virtuellen Situation auszugleichen. Wenn eine Gruppe grundsätzlich anonym bleiben möchte, muss es auch nicht das klassische Kennenlernen sein. Wichtig ist nur, dass es eine längere Einführung und regelmäßige Pausen gibt, die kurz vom eigentlichen Thema wegführen.
Kleine gemeinsame Rituale, geführte Meditations-Einheiten oder sich wiederholende Energizer geben allen Beteiligten Struktur und somit Sicherheit und Vertrauen.
Menschen in den Vordergrund stellen
Lass‘ Dich von der Technik nicht so sehr einnehmen, dass sie in den Vordergrund tritt. Das bedeutet bei sensiblen Themen, dass die Technik so wenig wie möglich wahrnehmbar sein sollte. Denn technische Aspekte bauen nicht nur für weniger digital kompetente Personen eine unnötige Hürde, sondern lenken auch vom menschlichen Faktor ab. Niemand möchte in einer emotional anstrengenden Sitzung zusätzlich von technischen Problemen eingenommen werden.
Wir stellen immer gerne spannende Tools vor, aber für persönliche Themen darf die Technik ruhig minimalistisch ausfallen. Für kleine Einheiten zwischendurch darfst Du natürlich ruhig das Whiteboard oder auch ein Tool nutzen, aber grundsätzlich sollte die „Sendezeit“ hauptsächlich den Menschen gegeben werden. Daher eignen sich die zuvor genannten virtuellen Hintergründe oder die immersive Ansicht so besonders, da sie dieses Gleichgewicht nicht stören und eher unterstützend wirken.
Denn je mehr Mimik und Gestik wir wahrnehmen, desto menschlicher fühlt sich auch die digitale Kommunikation an. Daher ist hier die Sprecheransicht meist am besten. Denn das berüchtigte Distanzgefühl kommt auch daher, dass wir Menschen über einen Bildschirm weniger dreidimensional wahrnehmen können. Deshalb solltest Du dies nicht noch weiter reduzieren, indem der Fokus zu weit von den Personen weggeht.
Zudem ist so die Chance geringer, dass eine schlechtere Internet-Verbindung einer Sitzung in die Quere kommt.
Auch Dich selbst mehr einbringen
Therapeut*innen oder andere Betreuer*innen haben oftmals den Anspruch, als vollkommen neutraler Faktor zu fungieren. Das ist in Professionalität begründet und soll nicht von den Anliegen der Person oder Gruppe ablenken.
Im Zuge der Online-Betreuung gilt es eventuell, diese Einstellung zu überdenken. Da es vielen Teilnehmer*innen Online schwerer fällt, sich zu öffnen, kann es helfen, persönlicher an die Sache heranzugehen. Die digitale Situation ist ungewohnt, die andere Person ist zunächst fremd und so entstehen Hemmungen.
Wenn Du also merkst, dass gerade in Einzelterminen das Vertrauensverhältnis einfach nicht aufkommen mag, kannst Du einen Schritt auf die Teilnehmer*innen zu machen. Erzähle vielleicht ganz konkret, warum Du Dich Deinem jeweiligen Thema widmest. Einen etwas persönlicheren Einstieg zu wählen, kann die gefühlten Grenzen schneller abbauen und auch Dich als virtuelle Betreuer*in dreidimensionaler und menschlicher machen.
Kann Distanz sogar ein Vorteil sein?
Die Distanz zwischen den Beteiligten ist oft ein Faktor, gegen den wir arbeiten. Dabei kann ein wenig Abstand ab und zu durchaus hilfreich sein.
In der psychologischen Betreuung lassen sich durch Online-Hilfe beispielsweise einige Versorgungslücken schließen und flexibler betreuen. Wenn es um bestimmte Ängste oder Phobien geht, kann ein heimisches Umfeld sogar mehr Sicherheit geben. Das Wegfallen der Anreise öffnet Dein Angebot auch über lokale Grenzen hinaus und auch für Menschen mit körperlichen Einschränkungen.
Es mag sogar Prozesse geben, in denen die ausgeschaltete Kamera eine Variante sein kann. Manchmal fällt es Menschen leichter über persönliche Themen zu sprechen, wenn sie sich weniger beobachtet fühlen.
Die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit bietet Betreuer*innen auch die Möglichkeit, Gruppen noch mehr zu vernetzen. Denn Dein Thema ist sicherlich für Menschen überall interessant und mit digitaler Unterstützung kannst Du hier ein noch weiteres Netz spannen und auch fehlende Präsenz-Zeit zumindest überbrücken.
Ideal ist für viele Fälle also sicherlich eine Kombination aus Anwesenheit und Digital. Denn mit Hilfe digitaler Kommunikation können wir viel schneller auf aktuelle Entwicklungen reagieren und dauerhafter verbunden sein.