Du schaust in die Runde Deiner Lernenden – einige scheinen gelangweilt, andere beinahe verzweifelt.
Ist Dir das als Lernbegleiter:in auch schon mal begegnet? Manchmal können wir gar nicht nachvollziehen, wie beide Phänomene in einem Seminarraum gleichzeitig auftreten können.
Doch insbesondere in den teils sehr heterogenen Lerngruppen der Erwachsenenbildung, kommen Lernende mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu uns.
Sowohl Unter- als auch Überforderung führen schnell zu Frustration und machen Lernende nicht mehr für Lernerlebnisse zugänglich, wenn der Zustand zu lange anhält.
Oftmals führt die Angst vor Misserfolg zu Passivität. Die Lernenden möchten sich nicht in einer Gruppe blamieren und zugeben, dass sie etwas nicht verstehen oder wiederholen möchten.
Daher ist hier eine aufmerksame Lernprozessbegleitung besonders wichtig.
Was lösen Über- und Unterforderung aus?
Wenn Teilnehmer:innen kontinuierlich an ihrer Leistungsgrenze lernen müssen, ermüden sie schnell mental und verlieren dann die Motivation. Denn natürlich müssen wir uns in einem Lernprozess ein wenig strecken, aber konstante Überforderung kann sich sogar negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken.
Unterforderte Teilnehmer:innen werden hingegen manchmal zu Störer:innen oder schalten einfach ab. Dadurch wird ihr Vorwissen nicht in einer positiven Weise für die Lerngruppe genutzt, sondern verpufft.
In beiden Fällen bekommen Lernende nicht das lohnende Gefühl des Lernerfolgs, das uns motiviert weiterzumachen.
Zunächst einmal mag Unterforderung wie das kleinere Problem wirken, aber auch diese Lernenden nehmen am Ende nicht viel aus einer Veranstaltung mit, außer vielleicht einem allgemeinen Gefühl.
Dieses wird sich dann in Deinem Feedback zeigen und natürlich ist das auch überhaupt nicht Dein Anspruch als Lernbegleiter:in. Gibt es also Mittel und Methoden, um beiden Gruppen zu helfen?
Bevor es überhaupt losgeht
Du kannst tatsächlich ein wenig Stress vermeiden, wenn Du bereits im Vorfeld einer Veranstaltung mehr über Deine Lerngruppe in Erfahrung bringst.
Da reichen meistens schon ein kurzes Quiz und eine gesunde Selbsteinschätzung der Teilnehmenden.
Mit diesem ersten Eindruck kannst Du bereits wichtige Schlüsse ziehen: Wie unterschiedlich ist der Wissensstand bei den Basics?
In der Praxis weißt Du dann, wie viel Zeit Du am Anfang etwa mit der Klärung von Grundbegriffen verbringen musst. Denn wenn Du beispielsweise mit einer sehr erfahrenen Lerngruppe bei Adam und Eva anfängst, kann sich schnell Langeweile und Unterforderung einstellen.
Wenn die Gruppe bis auf wenige Ausnahmen insgesamt sehr viel Vorwissen hat, kannst Du zum Beispiel auch etwas Basiswissen vorschalten und in Form von Selbstlerninhalten zur Verfügung stellen.
Das kann Dir dann zum Start etwas Zeit sparen und die erfahrenen Lernenden steigen nicht sofort aus.
Wiederholung auslagern
Du kannst nicht nur zu Beginn einige Inhalte vorschalten, sondern auch zu jeder anderen Zeit mit Selbstlern-Inhalten unterstützen.
Diese weiterführenden Inhalte müssen nicht verpflichtend sein, können aber beispielsweise Wiederholungen in den eigentlichen Sitzungen ersetzen oder verkürzen.
Denn gerade die Redundanz von ohnehin schon zu sehr bekannten Inhalten kann für die tendenziell bereits unterforderte Gruppe der Faktor sein, der sie endgültig die Motivation kostet.
Bei der Auslagerung kann Dir vor allem auch eine gute Online-Plattform sehr von Nutzen sein. Hier kannst Du Lernunterlagen hinterlegen, die alle Lernenden bei Bedarf nutzen können, aber vor allem auch tendenziell überforderte Teilnehmer:innen mehr abholen.
So können sie nämlich ganz nach ihrem individuellen Lernbedarf wiederholen und werden nicht vom Lerntempo anderer beeinflusst.
Differenzierung
Lernen ist selten eine Einheitslösung und in heterogenen Lerngruppen sogar noch weniger.
Daher kann es allen entgegenkommen, wenn Aufgabenstellungen in verschiedenen Abstufungen gegeben werden. Dann können Lernende mit weniger Vorwissen sich mit den Basics befassen, während erfahrenere Teilnehmer:innen nicht nach 5 Minuten Löcher in die Luft starren.
Denn das frustriert im Übrigen nicht nur diese Lernenden selbst, sondern übt auch zusätzlichen Druck auf die anderen aus.
Mache bei der Aufgabenstellung dabei klar, dass es keinen Unterschied macht, bis zu welcher Differenzierung die Lernenden kommen. Es gibt keine „Extrapunkte“ oder ähnliches, jeder soll einfach die Aufgaben so bearbeiten, wie es sich gut anfühlt.
Es kann auch ratsam sein, immer ein paar weitere Aufgaben in der Hinterhand oder im Kopf zu haben, falls Du merkst, dass einzelne Teilnehmer:innen sehr schnell fertig sind.
Ein paar Beispiele für differenziert gestellte Aufgaben kannst Du Dir zum Beispiel >>hier ansehen.
Auch eine differenzierte Bearbeitungsform von Aufgaben und Projekten kann den Lernenden sehr entgegenkommen:
Je offener die möglichen Bearbeitungs- und Lösungswege sind, desto weniger sind sie eingeengt und können ihre Stärken einsetzen. Auf diese Weise haben sie mehr Erfolgserlebnisse und bleiben länger motiviert.
Soziales Lernen nutzt die Gruppe
Du hast eine Gruppe, in der sich einige Expert:innen befinden und die anderen kommen kaum mit? Dann nutze doch ihre Kompetenz in verschiedenen Gruppenarbeiten.
Grundsätzlich ist soziales und kollaboratives Lernen immer die beste Variante bei heterogenen Lerngruppen. Denn so wird die Individualität nicht in eine Form gepresst, sondern bewusst in einem gruppendynamischen Prozess genutzt.
Je mehr sich die Gruppenmitglieder untereinander austauschen, desto mehr lernen sie auch voneinander. Ein solcher Lernprozess hat meist gefühlt eine ganz andere Qualität als ein Input, der von Lernbegleiter:innen kommt.
Denn Lernen ist keine Einbahnstraße, sondern entsteht beim kollaborativen Lernen zwischen vielen Knotenpunkten.
So sind alle Lernenden aktiv beteiligt und tragen etwas bei – da bleibt ihnen gar keine Zeit zum Abschalten, selbst wenn sie die Inhalte schon kennen.
Wenn Du einen „Lernen durch Lehren“ Ansatz einsetzen möchtest, kannst Du hier die Themen entsprechend verteilen. Du gibst dann natürlich die komplexeren Themenbereiche an die Lernenden mit mehr Vorwissen.
Auch mehrstufige Methoden mit verschiedenen Sozialformen eignen sich besonders für heterogene Gruppen. So haben langsamere Lernende die Chance, sich in mehreren Abschnitten mit einem Thema zu befassen. Gleichzeitig werden die einzelnen Phasen nicht zu lang und die Lernenden mit mehr Vorwissen bekommen so kognitive Abwechslung.
Ein Beispiel ist etwa die Methode „Think-Pair-Share“. Sie vereint sowohl etwas Einzelarbeit, in der alle Lernenden ihre Gedanken unbeeinflusst sammeln können, als auch die wertvolle Arbeit in Kleingruppen:
Mehr einbinden
Wenn Du merkst, dass bestimmte Teilnehmer:innen trotz aller Inhalte zu wenig gefordert werden, kannst Du sie auch anderweitig einbinden.
Nicht als „Beschäftigungstherapie“, aber damit für sie weniger Leerlauf entsteht. Sie können Dir beispielsweise bei der Vorbereitung einer Methode helfen oder technische/organisatorische Aufgaben übernehmen.
Vermutlich kannst Du sogar etwas Hilfe bei diesen Dingen gebrauchen und die Lernenden können sich auf etwas konzentrieren. Natürlich stehen die Inhalte und Aufgaben weiterhin an erster Stelle – also binde sie selbstverständlich nicht zu einem Grad ein, der ihnen dabei im Weg steht.
Aber manchmal müssen wir einfach wiederholen oder auf andere Teile der Lerngruppe Rücksicht nehmen und zusätzliche kleine Aufgaben können verhindern, dass Du tendenziell unterforderte Teilnehmer:innen ganz verlierst.