Lerntransfer – Wie wird Wissen wirklich anwendbar?

Wir fragen uns oft, wie wir unseren Teilnehmer*innen am besten neues Wissen vermitteln. Dabei steht häufig die Frage im Fokus, wie man Inhalte verständlich darstellt und effektiv selbstständig erarbeiten lässt.

Dadurch gerät eine andere Frage manchmal in den Hintergrund: Wie sorgen wir dafür, dass unsere Lernenden das soeben Gelernte auch tatsächlich langfristig anwenden können?

Denn es ist davon auszugehen, dass wir ohnehin nur einen kleinen Prozentsatz eines Lernerlebnisses dauerhaft behalten. Die bekannte Ebbinghaus’sche Vergessenskurve besagt etwa, dass wir bereits 20 Minuten nach einem Lernerlebnis schon 40% der Inhalte wieder vergessen haben.

Denn der Mensch ist nicht unbedingt dafür gemacht, alles für immer fein säuberlich abzuheften. So bleiben wohl nur ungefähr 15% des Erlernten dauerhaft in unserem Speicher bestehen und wird von Deinen Teilnehmer*innen auch praktisch angewandt:

Um diesen Anteil auf bis zu 85% zu erhöhen bedarf es also einer definierten Phase der Transferbegleitung.

Die reine Vermittlung und Erarbeitung Deiner Inhalte hast Du vermutlich genau geplant und methodisch durchdacht. Doch welche Methoden versprechen am meisten Erfolg beim Transfer von Lerninhalten in den Arbeitsalltag?

Der Unterschied zwischen „Wissen, dass“ und „Wissen, wie“ ist nämlich ein sehr großer. Wenn Du beispielsweise weißt, dass ein Klavier 88 Tasten hat und Du Noten lesen kannst, ist das durchaus viel theoretisches Wissen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Du Klavier spielen kannst. Wertvolles und nützliches Wissen entsteht also erst aus der Verbindung von theoretischem Grundgerüst und der konkreten Anwendung in der eigenen Arbeitspraxis. Die Möglichkeiten zur Umsetzung von handlungsorientierten Lernprozessen sind auch in Online-Seminaren gegeben.

Wiederholung – aber effektiv

Wiederholung sorgt dafür, dass sich die neuen Verbindungen im Gehirn stärker und stabiler ausbilden. Wir merken uns Geschichten und Zusammenhänge wesentlich besser als isolierte Fakten.

Es gibt schließlich einen Grund, wieso wir uns an Märchen und Bücher aus unserer Kindheit immer noch erinnern – wenn auch nicht im kleinsten Detail, aber das ist meistens auch gar nicht nötig.

Allerdings bedeutet das nicht, dass derselbe Impuls 10-mal wiederholt die effektivste Speicherung gewährleistet:

Das Ziel sollte eher sein, die Inhalte auf verschiedene Weise zu wiederholen. Du kannst auch dieselben grundsätzlichen Lerninhalte in unterschiedlichen Methoden und Sozialformen erarbeiten lassen. Dazu eignen sich besonders mehrstufige Arbeitsphasen, die etwa sowohl eine Einzelarbeit als auch eine Gruppendiskussion einbinden.

Man geht mittlerweile davon aus, dass Microlearning die effektivste Form der Wiederholung ist: Das bedeutet, dass wir auf regelmäßige, kürzere Impulse noch besser reagieren als auf lange, intensive Einheiten. Diese kleineren Impulse kannst Du in bestimmten Abständen zum Beispiel mit einer einfach umzusetzenden Aufgabe per Mail verschicken, um so die Chance auf Anwendung zu erhöhen.

Im Fall von Online-Seminaren gilt die Richtlinie von leicht verdaubaren Häppchen sogar noch viel mehr, da uns im digitalen Lernraum lange Konzentrationsphasen noch schwerer fallen können.

Quizze und Abfragen auch online umsetzen

Das Gelernte in einem Test oder Quiz erneut abrufen zu müssen sorgt für besseres Abspeichern. Insbesondere wenn man das neue Wissen nicht einfach nur stumpf wiedergeben muss, sondern auch auf neue Kontexte anwendet. Denn je breiter die Informationen in unserem Gedächtnis vernetzt sind, desto tiefer sind sie verankert.

Dadurch wird gleichzeitig auch sichergestellt, dass die Lernenden nicht nur Zahlen und Fakten wiederkäuen, sondern die Inhalte tatsächlich verstanden haben.

Auch im Online-Seminar kannst Du mit Hilfe von interaktiven Tools eine Abfrage, ein Quiz oder sogar eine digitale Schnitzeljagd einbauen. Das gelingt beispielsweise mit den Apps Mentimeter, Learning Snacks oder Actionbound.

Lerntandem

Buddy-Systeme können auch in Online-Seminaren besonders sinnvoll sein. Einerseits können die Teilnehmer*innen sich so gegenseitig regelmäßig helfen und an Aufgaben erinnern, anderseits werden so auch Gruppendynamiken gefördert.

Da der fehlende Austausch untereinander häufig eine Sorge von sowohl Online-Trainer*innen als auch Teilnehmer*innen ist, können so auch wertvolle Gruppenprozesse angeregt werden. Im besten Fall bilden sich so auch längerfristige Lern-Partnerschaften, die die Transfersicherung in der Berufspraxis weiterführend absichern.

Nachfassen

Je nach Gruppengröße und Format Deines Seminars musst Du manchmal bereit für Einzelcoachings sein. Entweder durch Telefonate oder Einzel-Zooms kannst Du überprüfen, wie die Umsetzung der Lerninhalte im praktischen Berufsalltag läuft.

So hast Du ebenfalls die Möglichkeit auf individuelle Entwicklungen zu reagieren und persönliche Szenarien durchzusprechen.

Lerninhalte direkt in den Arbeitsalltag integrieren

Das Problem bei der Transferbegleitung wird wesentlich kleiner, je näher Du Deine Teilnehmer*innen an ihrer tatsächlichen Arbeitsrealität qualifizierst. Wenn der Lernprozess so nah wie möglich an die Arbeitsabläufe herangeführt wird, muss das neue Wissen kürzere Strecken überbrücken. Daher sind Trainings direkt im beruflichen Kontext der Teilnehmer*innen immer am effektivsten.

Eine Form des Anwendungswissens musst Du in gewisser Weise auch in die Eigenverantwortung Deiner Lernenden legen. Denn es kann nach wie vor niemand zum Lernen gezwungen werden und Du hast wenig Kontrolle darüber, inwiefern sie das Gelernte tatsächlich im Alltag umsetzen werden.

Du solltest diesen Prozess jedoch durchaus bewusst anregen, indem Du Aufgaben gibst, die auch über den Seminarrahmen hinaus die aktive Anwendung der Lerninhalte fördern. Je konkreter Du dabei die Aufträge formulierst, desto wahrscheinlicher werden sie auch umgesetzt.

Es bieten sich auch oft konkrete Umsetzungen in Form von Projektarbeiten an. Diese sollten ebenfalls so nah wie möglich an der Berufspraxis sein, um die theoretischen Lerninhalte so praktisch wie möglich einbinden zu können.

Eine wirkliche Überprüfung des Lernerfolgs und der Transfersicherung ist oft auch immer erst mit einem gewissen Abstand möglich. Falls Du also Seminare oder Schulungen über einen längeren Zeitraum gibst, kannst Du Tests und Wiederholungen auch breiter verteilen und Deinen Teilnehmer*innen so genügend Zeit zur Integration des neuen Wissens geben.

Tagesseminare stellen daher manchmal ein Problem dar: Du bekommst gar nicht die Möglichkeit, einen Lernprozess adäquat zu begleiten und voll auszugestalten. Wenn Du also die Option hast, Deine Teilnehmer*innen längerfristig zu begleiten, sind die praktischen Lernerfolge wesentlich höher. Wenn Du also Angebote machst, kannst Du diese Faktoren als Argumente heranziehen.

Gibt es “hoffnungslose Fälle”?

Da insbesondere Erwachsene nun mal nicht gelernt werden können, wirst Du auch immer Teilnehmer*innen begegnen, die an einer Weiterbildung nicht wirklich interessiert sind. Allgemein ist davon auszugehen, dass trotz Deiner besten Bemühungen und Intentionen immer ein Anteil der Teilnehmer*innen die Trainingsinhalte erst gar nicht versuchen in ihren Alltag zu integrieren.

Das mag manchmal frustrierend oder auch enttäuschend sein, aber ist meistens nicht persönlich. Auch hier kannst Du manchmal durch Einzelgespräche erfahren, ob es eventuell noch eine Möglichkeit auf Besserung oder Kompromiss gibt. Letzten Endes solltest Du Dich aber natürlich nicht zu Gunsten einer Einzelperson komplett auf den Kopf stellen, da Erwachsenenbildung schließlich doch eine Menge mit Eigenverantwortung zusammenhängt.

Professionelle Transferbegleitung wirkt

In beruflichen Weiterbildungen gilt auch online immer noch die Grundregel: Anwendungswissen ist am wertvollsten. Wann immer Du die Möglichkeit hast, solltest Du in der Erwachsenenbildung Deine Teilnehmer*innen selbst aktiv werden lassen.

Das reine Lernen für einen Test oder eine Note wie zu Schulzeiten erzeugt im Grunde etwas, das einer meiner Lehrer „Schwammwissen“ nannte. Das bedeutet, dass wir nur zum Zwecke des Bestehens einer Prüfung unser Gehirn mit kurzfristigem Wissen vollsaugen und sofort im Anschluss wieder ausdrücken.

Kurzfristige Lernerfolge sind ohnehin natürlich nicht die Zielsetzung eines guten Seminars, da im Idealfall natürlich längerfristige Verhaltensweisen oder Techniken erlernt werden sollen. Daher sollten am besten konstante Wiederholung und genügend Zeit eingeplant werden, um diesen neuen Strukturen den entsprechenden Raum zur Entwicklung zu geben.